Stress für den Untergrund

Kritiker befürchten tektonische Veränderungen durch Bohrungen nach Erdwärme. In manchen Gegenden haben sie womöglich recht. Von Elke Bunge

  • Elke Bunge
  • Lesedauer: 5 Min.

Anfang Juni 2016. Ein Erdbeben der Stärke 3,3 erschütterte die Umgebung von Volterra. Das Epizentrum lag wenige Kilometer nördlich der toskanischen Stadt in 14 Kilometern Tiefe. Wenige Tage zuvor hatte die Erde am Lago di Bolsena gezittert. Da lag die Magnitude bei 4,1 - die Erdstöße waren bis ins Amiata-Gebiet zu spüren. Dort betreibt der italienische Energieversorger Enel Green Power Erdwärmekraftwerke. Weitere sind geplant, das Tochterunternehmen des staatlichen Stromversorgers Enel will die Geothermie als Energiequelle ausbauen. Kritiker befürchten, dass Bohrungen am Monte Amiata mitverantwortlich für die Zunahme von Beben in der Region sein könnten.

Doch Experten des italienischen Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV) sehen in diesem Fall keinen Zusammenhang. Die Beben längs der Apenninen haben andere, natürliche Ursachen. Italien wird von gegeneinander driftenden Platten in die Zange genommen. Die Adriatische Erdplatte drückt nach Westen, die westeuropäische mit Korsika nach Osten. In der Folge entstehen sogenannte Abschiebebeben. GPS-Messungen zeigen, dass der Gebirgszug teils nach Nordosten, teils nach Südwesten driftet, so dass sich die Apenninen in beide Richtungen jährlich um einen Millimeter dehnen. Dieser Wert mag klein scheinen, ist aber dennoch Auslöser seismischer Ereignisse. Eines der stärksten von diesen zerstörte 2009 die Abruzzenstadt L’Aquila.

Auch das jüngste Beben von Volterra hatte natürliche Ursachen. Im Gegendruck zur Dehnung der Apenninen schiebt sich die afrikanische Platte nach Norden und lässt die Erde im Bereich der Po-Ebene erzittern, wie im Mai 2012 in Emilia-Romagna.

Im Bereich um die Erdwärmekraftwerke am Monte Amiata - dem einzigen schlummernden Vulkan der Toskana - hingegen werden Beben sozusagen vom relativ dicht an der Oberfläche liegenden Magmabrei »abgefedert«, erläutert Thomas Braun vom INGV-Observatorium Arezzo. Das Magma heizt einen darüber liegenden, etwa 5000 Quadratkilometer großen unterirdischen »See« auf. Die Wassertemperatur dort liegt bei 400 Grad Celsius, der Dampf kommt mit hohem Druck aus der Erde, muss zunächst in Kühlaggregaten abgekühlt werden, bevor er durch die Turbinen geleitet werden kann. Mit der Abwärme werden die umliegenden Gemeinden beheizt. Das nach dem Turbinenlauf abgekühlte Wasser wird an verschiedenen Punkten wieder in den unterirdischen See zurückgeleitet. Dieser Vorgang ermöglicht einen Druck-Volumen-Ausgleich, sodass sich die seismischen Aktivitäten in Grenzen und für Menschen im nicht spürbaren Rahmen halten.

Offene Erdaufbrüche, Fumerolen genannt, lassen fauchend schwefligen Dampf an die Erdoberfläche entweichen. Der französische Apotheker François Jacques de Larderel hatte deshalb im Ort Montecerboli eine Borfabrik errichten lassen. Einer seiner Nachfahren, Graf Piero Ginori Conti, ein an der Wissenschaft interessierter Florentiner Unternehmer, führte um 1900 erstmals Experimente zur Elektrizitätsgewinnung durch Erdwärme durch. Larderello - der Ort wurde zu Ehren der Larderels so benannt - wurde damit zur Wiege der Geothermie. Bereits 1958 wurde hier Erdwärme in elektrischen Strom umgewandelt.

Ein Beben, das im Jahre 2000 zu Schäden an 50 Häusern in Piancastagnaio (einem 60-Megawatt-Geothermiekraftwerk) geführt hatte, schürte den Verdacht auf anthropogene Ursachen. Man diskutierte, ob die Wiedereinleitung des kalten Wassers zu »Stressreaktionen« in den Felsformationen führen könnte. Mitarbeiter des INGV installierten seither acht seismische Messstationen und weitere sieben seismische Messfelder rings um das Erschließungsgebiet Monte Amiata. Eine Vielzahl von Bebenaktivitäten wurde bislang registriert, ohne dass mit Sicherheit festgestellt werden konnte, dass das menschliche Eingreifen die Seismik verstärkt habe.

Ähnliche Verfahren wie in der »Heimat« der Geothermie, Larderello, werden auch in anderen Gebieten mit vulkanischen Aktivitäten angewendet, in Island und im nordchilenischen Antofagasta. Das dort vom chilenischen Staatsunternehmen ENAP und Enel Green Power betriebene Erdwärmekraftwerk besteht aus zwei Stationen, die jeweils 24 Megawatt Strom erzeugen und 154 000 Haushalte versorgen. Wissenschaftler der Universidad de Chile prognostizieren, dass mit Geothermie künftig 91 Prozent des chilenischen Energiebedarfs gedeckt werden können.

Anders als in vulkanischen Zonen verhält es sich in Niedertemperaturgebieten, wo geothermische Anlagen mit Wassertemperaturen um die 160 Grad arbeiten. Die Wissenschaftler des INGV wiesen in Experimenten nach, dass die Druckminderung durch den Entzug von warmem Wasser zu tektonischen Reaktionen führt. Dies verhält sich ähnlich wie im Bergbau, wo die Entnahme von Kohle, Salz oder Gestein zu tektonischen Veränderungen und den gefürchteten Gebirgsschlägen führen kann.

Andererseits stresst auch das Aufbrechen von Felsschichten durch mit hohem Druck eingeleitetes Wasser oder Aufspaltflüssigkeiten (Fracking) die betroffenen Erdkrustenschichten. Wissenschaftler der ETH Zürich vermuteten deshalb einen Zusammenhang zwischen dem Einleiten von 650 Kubikmetern Wasser, das aus einer Tiefe von 4,5 Kilometern 140 Grad heißen Dampf an die Oberfläche treiben sollte, und den Erdbeben, die in der oberrheinischen Zone sowohl in Basel als auch in St. Gallen zu erheblichen Schäden an Häusern geführt hatten.

Bereits im Dezember 2006 und Januar 2007 war es in der Region Basel zu mehreren Erdbeben mit Magnituden zwischen 3,1 und 3,6 gekommen. Dort hatten die Betreiber des Projekts Swiss Deep Heat Mining versucht, unter hohem Druck Wasser in fünf Kilometer Tiefe zu pressen, um dort heißen Dampf zu erzeugen, der an die Oberfläche steigt. 2010 wurde das Projekt endgültig eingestellt. Es galt als erwiesen, dass die Beben durch menschliches Eingreifen ausgelöst wurden.

Wissenschaftler weisen darauf hin, dass auch beim Schürfen nach fossilen Brennstoffen, Schiefergas und -öl, mit der Fracking-Methode häufig seismische Aktivitäten ausgelöst werden. Viele fordern auch deshalb ein generelles Verbot des Frackings.

So wird Geothermie wohl künftig vor allem jenen Regionen der Erde vorbehalten sein, in denen eine starke vulkanische Aktivität verzeichnet wird.

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