Zündpotenzial MIT besten Kontakten
Was weiß der BND über den Putsch in der Türkei? Vermutlich mehr, als für die Bundesregierung im Moment öffentlich gut ist
Spätestens am Sonntagmittag lag ein erstes geheimes Dossier zum Thema Türkei auf dem Tisch des Kanzleramtsministers. Das ist sicher. Wozu sonst leistet man sich den Bundesnachrichtendienst? Nicht sicher ist indessen, ob sich dieses Dossier wesentlich vom aktuellen Pressespiegel unterscheidet.
Noch vor zwei Jahren wäre dieser Verdacht absurd gewesen. Damals war der NATO-Partner noch Aufklärungsziel des deutschen Auslandsnachrichtendienstes. Wie schon Jahrzehnte zuvor. Nachweisbar ist, dass deutsche Dienste seit 1979 elektronisch in das NATO-Partnerland hineingelauscht haben. Zuletzt 2009 bestätigte die Bundesregierung das Spionageziel Türkei im BND-Auftragsprofil. Doch genau das wurde vor zwei Jahren öffentlich. Die Türkei empörte sich, bat den deutschen Botschafter zum Gespräch. Der hörte: Deutschland rege sich zwar auf, wenn die US-amerikanische NSA in Deutschland schnüffelt, doch selbst sei die Merkel-Truppe kein Deut besser. Ankara erwarte »eine offizielle und zufriedenstellende Erklärung und ein sofortiges Ende dieser Aktivitäten«.
»Wir sind übereingekommen, dass der Chef des deutschen Nachrichtendienstes und der Chef unseres Geheimdienstes (MIT) in kürzester Zeit zusammenkommen und sich eingehend mit den Behauptungen auseinandersetzen«, sagte der damalige türkische Außenminister Ahmet Davutoglu. Der spätere Regierungschef und AKP-Getreue wurde jüngst von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan abserviert. Ob es das Treffen der Chefagenten gab und was sie besprachen, wurde nicht bekannt.
Dass sich Ankara den BND für die gespielte Empörung herausgesucht hat, gibt Fragen auf. Vermutlich wollte man auch so die stärkste Stütze der EU treffen, um bei den Verhandlungen über eine Annäherung an das Staatenbündnis das Maximale herausschlagen zu können. Das gelang.
Tatsächlich sind neben den deutschen auch Agenten zahlreicher anderer westlicher Dienste in der Türkei unterwegs. Das hat aktuell auch mit der vorgeschobenen Lage und der umfangreichen Unterstützung türkischer Stellen für die Islamisten in Irak und Syrien zu tun. Die Türkei ist Transitland für Dschihadisten und deren Rückzugsgebiet. Außerdem kommt dem Land eine wichtige Rolle zu, wenn es um Flüchtlinge geht, die nach Europa wollen. Zugleich beschwichtigte man Spionagekritiker mit dem Hinweis: Ja, die Türkei sei ein wichtiger Handelspartner für den Westen und die EU, aber sie gelte auch als Durchgangsland für den Drogen- und Menschenhandel.
Welcher Dienst jetzt also was wusste von dem geplanten Militärputsch und ob kluge Analysten in den Geheimdienstzentralen Erdogans Anti-Putsch-Putsch-Reaktion prognostizieren konnten, wird auf absehbare Zeit geheim bleiben. Doch womöglich ist der BND ja inzwischen wirklich sehschwach in Sachen Türkei. Schließlich hieß es in den vergangenen Monaten immer wieder, dass die Bundesregierung das Auftragsprofil des BND überarbeitet und damit die Richtung, in die der Dienst späht, neu bestimmt. Ab sofort stelle man die Bespitzelung von Freunden ein. Die Türkei – ein Freund?
Vielleicht nicht Freundschaft, wohl aber intensive Zusammenarbeit pflegen BND-Leute schon viele Jahrzehnte mit den türkischen Kollegen vom Millî İstihbarat Teşkilâtı (MIT). Das kann man nicht so schnell auf rein Protokollarisches herunterregeln? Die Auslandsresidentur in der Türkei ist eine der ältesten des BND. Schon die Organisation Gehlen suchte den Kontakt und gemeinsam baute man in Istanbul einen Stützpunkt auf, von dem aus der Schiffsverkehr am schmalen Meeresdurchlass vom und zum Schwarzen Meer kontrolliert wird.
Umgekehrt hat der MIT ein breites Spionagenetz in Deutschland. Hunderte türkische Staatsbürger in zahlreichen Unternehmen, im religiösen und politischen Bereich liefern Informationen in die Geheimdienstzentrale nach Ankara. Inzwischen umfangreich belegt ist eine enge Zusammenarbeit zwischen BND und MIT nach dem Putsch von 1980. Deutsche Stellen unternahmen wenig oder nichts, wenn türkische Spione Türken in Deutschland drangsalierten oder ihnen die faschistischen grauen Wölfe ins Haus schickten. Nur wenn es die türkischen Agenten zu dreist trieben, gab es den Du-du-Zeigenfinger. 1980 sollen MIT-Agenten in Deutschland und den Niederlanden drei Menschen erschossen und 1987 vier Dev-Sol-Mitglieder entführt haben.
Ein bizarres Licht auf Kooperation und Konfrontation wirft der Fall Alaattin Ates. Der hatte es bis zum Deutschland-Chef der türkischen DHKP-C geschafft. Die DHKP-C wird von Ankara wie Berlin als Terrortruppe bewertet und in der Zeit, in der Ates mit 3200 Euro Monatssalär eine wichtige Quellen des BND war, verübte die DHKP-C nach türkischen Angaben rund 70 Anschläge auf Banken, Regierungs- und Polizeidienststellen. Als Ates dann aufgeflogen war, betätigte er sich als Kronzeuge gegen linke und linksradikale Widersacher der türkischen Regierung.
Auch der türkische Agent Mevlüt Kar zeigt, wie ungeniert die zum Teil widersprüchliche Zusammenarbeit zwischen den Diensten lief. Der Mann gründete immer wieder angeblich im Auftrag der Terrorgruppe Al Qaida Terrorzellen in Deutschland. Um sie dann zu verraten. Diese Tätigkeit als agent provocateur lief nicht ohne Zustimmung deutscher Dienste.
Interessant ist auch die Funktion des fünften Mannes der sogenannten Sauerlandgruppe. Drei Mitglieder und ein Helfer der Terrorzelle wurden 2010 vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Dumm nur, dass der fünfte Mann, Mevlüt Kar, der als Schlüsselfigur bei der Vorbereitungen islamistisch motivierter Anschlänge in Deutschland gilt, nicht gleichfalls einen Richter fand. Er hatte – so recherchierte das Bundeskriminalamt – die Zünder besorgt, mit denen die anderen Terrordilettanten den selbst gebrauten Sprengstoff wecken wollten. Doch 24 der 26 Zünder funktionierten nicht. Immerhin, darauf haben die MIT-Auftraggeber von Kar, die sich irgendwie auch mit den Kollegen der CIA abgestimmt haben, geachtet.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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