Laut gegen das »Abschiebebusiness«

Das »No Border Camp« im griechischen Thessaloniki startete einen Angriff auf das europäische Grenzregime

  • Hamid Mohseni und 
John Malamatinas, Thessaloniki
  • Lesedauer: 4 Min.
Tausende Geflüchtete und Antira-Aktivist*innen protestierten beim »No Border Camp« in Griechenland. Beim Versuch an den Grenzzaun zu gelangen, wurden sie jedoch von der Polizei gestoppt.

Einen Angriff auf das europäische Grenzregime startet das »No Border Camp« in Griechenland - Zu diesem Zweck schlugen vom 15. bis 24. Juli rund 2000 Aktivist*innen aus Italien, Großbritannien, Deutschland, Slowenien, der Türkei und anderen Ländern ihre Zelte in der Aristoteles Universität Thessaloniki auf. Hinzu kamen zahlreiche Geflüchtete aus umliegenden Sammellagern. Sie konnten am Camp zum Teil nur dank der logistischen Unterstützung von NoBorder-Aktivist*innen mitwirken, denn gemäß ihres Aufenthaltsstatus verfügen sie nur über eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit.

Legalisierung von Migrant*innen, gültige Aufenthaltspapiere für alle, die sofortige Auflösung aller Lager und Abschiebezentren sowie die Öffnung der EU-Außengrenzen. - Diese Ziele des Protestcamps hatten migrantische Gruppen und Unterstützungsnetzwerke gemeinsam formuliert. Mit dem Protestcamp sollten sie nun lautstark an die Öffentlichkeit gebracht werden.

Proteste bei Umverteilungs- und Abschiebezentren in der Metropolregion Thessaloniki waren die praktischen aktionistischen Höhepunkte dieses 14.»No Border Camps«. Außerdem ein »Migrants‘ Pride-March« mit 4500 Teilnehmenden, der, angeführt von einem über 1000-köpfiger Geflüchteten-Block, am Donnerstag durch die Innenstadt Thessalonikis zog. Demonstriert wurde auch vor der deutschen Botschaft mit Kritik an der Bundesregierung als maßgebendem Akteur in der europäischen Abschottungspolitik. Eine direkte Aktion bei der Internationalen Organisation für Migration, einem der angeblich größten Profiteure des »Abschiebebusiness«, wies ebenfalls auf das Anliegen der Geflüchteten und die Ziele des Camps hin. Am Freitag besetzten Aktivistinnen zusammen mit Geflüchteten ein Haus im Innenstadtbereich, das künftig als ein selbstorganisiertes Solidaritätszentrum und als Wohnraum für bis zu zwölf Geflüchtetenfamilien dienen soll.

Die Forderung nach offenen Grenzen fand schließlich ihren wohl deutlichsten symbolischen Ausdruck bei einer Demonstration nahe der griechisch-türkischen Grenze, im Dorf Kastanies. 300 Aktivist*innen wollten gemeinsam zum Zaun gelangen, doch wurden sie von der Polizei unter Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken einen Kilometer vor ihrem Ziel aufgehalten. Während der gesamten Woche fanden auch zahlreiche Workshops und Treffen zur Vernetzung unterschiedlicher sozialer Kämpfe statt.

Die Zuspitzung europäischer Abschottungspolitik nach dem langem Sommer der Migration war es, welche die No Border Versammlung in Thessaloniki zur Organisierung dieser jüngsten Proteststrecke motivierte. Mit ihr wenden sich die Aktivist*innen gegen nationale Alleingänge bei Grenzkontrollen, die gesamteuropäische Koordination von Asylrechtsverschärfungen sowie gegen die Militarisierung an den EU-Außengrenzen. »Auf Griechenland als Austragungsort fiel die Wahl, weil das Land mit seinen Grenzen zu Mazedonien im Norden und zur Türkei im Osten sowohl auf der Balkan-Route liegt als auch eine der drei Außengrenzen der europäischen Union ist«, erklärte Misra Cenk, Aktivistin im Camp. Die Schließung der Balkan-Route im März diesen Jahres, der EU-Türkei-Deal wie auch ganz aktuell der Ausnahmezustand in der Türkei haben laut Cenk die Situation für Geflüchtete in Griechenland zusätzlich verschärft.

Natürlich waren nicht alle erfreut über die Veranstaltung. So hatte die Leitung der Aristoteles Universität in Thessaloniki ihr Gelände nicht freiwillig als Zeltplatz zur Verfügen gestellt. Vielmehr waren weite Teile der philosophischen und juristischen Fakultät zur Ausrichtung des Camps besetzt worden. »Unmögliche Zustände herrschen auf dem Campus!«, hatte der Rektor der Aristoteles Universität von Thessaloniki, Pericles Mitkas, bereits Anfang letzter Woche geschimpft. Die Hygiene im Camp sei nicht gewährleistet, die Menschen kochten und duschten im Freien, es bestehe sogar Gefahr für das nahe gelegene Universitätskrankenhaus. Mit seiner Forderung, die Zustände zu beenden, soll sich der Rektor direkt an die griechische Regierung gewandt haben.

Die regionalen Medien druckten die Wehklagen des Unirektors - überhaupt war die mediale Aufmerksamkeit groß während des gesamten Camps: Die rechten Tageszeitungen hetzten gegen die Besetzung öffentlichen Eigentums, die linken verfolgten gespannt die täglichen Aktionen.

Der Betrieb des Camps verlief selbstorganisiert, das heißt, alle Teilnehmenden packten mit an, um die nötige Infrastruktur aufrecht zu erhalten. Notwendige Entscheidungen wurden nach basisdemokratischen Grundsätzen getroffen. Wegen unzulänglich geklärter Verantwortlichkeiten traf die Campstruktur allerdings auch Kritik aus den eigenen Reihen. Unzufrieden waren Aktivist*innen auch deswegen, weil es während des Camps zu mehreren Fällen sexueller Belästigungen gekommen war.

Nicht nur der Unirektor von Thessaloniki ärgerte sich über das Zeltlager. »Nur wegen der in Griechenland vorherrschenden Gesetzlosigkeit konnten die Organisatoren sich diesen Austragungsort nehmen«, erklärte Thessalonikis Bürgermeister Giannis Boutaris gegenüber der Presse. Auch im griechischen Parlament wurde das »No Border Camp« Thema. Die »schrecklichen Vorgänge« auf dem Universitätsgelände kritisierte Kyriakos Mitsotakis, Chef der konservativen Partei Nea Dimokratia, in einer Anfrage an Premier Tsipras: Die Regierung toleriere die an der Universität angerichteten Schäden sowie Angriffe auf Stadtbusse und öffentliche Gebäude seitens der Besetzer. Der Nea Dimokratia-Vorsitzende wies auch auf eine Beschwerde seiner Partei beim Minister für Bürgerschutz, Niko Toskas, hin. Dieser wiederum wies Vorwürfe von sich und warnte vor der den »extreme repressiven Methoden«, welche die Konservativen in petto hätten.

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