Zweiter Sturm auf Zentralasien
Türkei versucht den Export des Gegenputsches / Neuauflage der Freundschaft mit Russland im August
Die Botschaft aus Bischkek war undiplomatisch eindeutig: Kirgisistan, ließ Außenminister Erlan Abdyldajew seinen Amtskollegen in Ankara, Mevlüt Çavuşoğlu, Montag wissen, sei für die Türkei ein Bruderland. Aber ein souveränes und Bildung sei eine innere Angelegenheit. Gemeint war eine dringliche Empfehlung des türkischen Außenamtes, Bildungseinrichtungen der Gülen-Bewegung zu schließen. Sie würde einen Staatsstreich in der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik vorbereiten und hätte deren Regierung unterwandert. Eine Liste mit Namen Verdächtiger lag dem Schreiben bei.
Kirgisistan ist mit real existierender Opposition, Zivilgesellschaft und kritischen Medien die einzige halbwegs funktionierende Demokratie in der Region und spielte daher schon in den Nullerjahren eine Schlüsselrolle bei Plänen der USA für einen Machtwechsel in ganz Zentralasien. Washington setzte dabei auf Soft power: Gewaltfreie Steuerung politischer Prozesse mit Hilfe kultureller und humanitärer Projekte sowie alternativer Bildungseinrichtungen, die neue Eliten hervorbringen.
Auf soft power setzt auch der Neo-Osmanismus und ist damit auf dem Balkan - in Kosovo oder Bosnien - extrem erfolgreich. Jetzt werde Präsident Recep Tayyip Erdoğan versuchen, in anderen Ex-Provinzen des Osmanischen Reiches und im Einflussgebiet türkischer Kultur politisches Kapital anzuhäufen. Europas Reaktion auf sein Vorgehen nach dem missglückten Staatsstreich zwinge ihn, das Projekt Westintegration zu begraben, glaubt Mittelostexperte Alexander Knjasjew.
Kirgisische Politikwissenschaftler sehen das ähnlich. Ankara habe das Gespenst eines Staatsstreichs durch die Gülen-Leute an die Wand gemalt, weil die Bildungsprojekte von Erdoğans Intimfeind Störfaktor für die geplante staatliche Charme-Offensive in der Republik sind, sagt Iskender Ormon-uulu. Es wäre bereits der zweite Versuch. Der erste, kurz nach dem Ende der Sowjetunion 1991, scheiterte. Weil sie die Region vor allem als riesigen Absatzmarkt sah, wurde die Türkei als neue Kolonialmacht wahrgenommen. Über Absichtserklärungen kam eine Konföderation der Turkstaaten nie hinaus, in das Machtvakuum - Russland war damals schwach und mit sich selbst beschäftigt - stießen Saudi-Arabien und die Golfemirate. Von dort kamen auch Hassprediger, die dumpfe Sehnsüchte der Volksseele nach einer gerechten, gottgefälligen Ordnung bedienten, wie sie der rationale und laizistische Kemalismus nicht liefern kann.
Erdoğans Chancen stehen nun erheblich besser. Sein Modell setzt auf eine Kombination von Panturkismus und gemäßigtem Islamismus. Beides könnte den Herrschern der Region helfen, ihre instabilen Regimes zu konsolidieren. Weil eine legale weltliche Opposition seit Jahren fehlt, suchen die von wirtschaftlichen und sozialen Problemen gebeutelten Menschen Zuflucht bei der radikalen islamischen Opposition.
Mit aggressiver Expansion nach Zentralasien verschafft Erdoğan Russland kurzfristig Erleichterung beim Gerangel mit China um Einfluss in der Region. An deren Grenzen, warnen Experten wie Knjasjew, werde er jedoch beim Soft-Power-Spiel nicht haltmachen. Längerfristig könnte daran auch die Neuauflage der russisch-türkischen Freundschaft scheitern, die beide Präsidenten bei ihrem Treffen in St. Pe-tersburg am 9. August besiegeln wollen.
Dann soll auch der Bann gegen Türksoy fallen: eine Organisation, die die weltweite kulturelle Zusammenarbeit der Turkvölker fördert - in Russland knapp zwei Dutzend. In ihren Gebieten, vor allem in der Teilrepublik Tatarstan, war Ankara schon vor dem Embargo, das Moskau nach Abschuss eines russischen Kampfjets im November verhängte, mit umfangreichen Bildungsangeboten präsent. Es dürften jetzt eher mehr denn weniger werden. Vor allem auf der Krim. Die dortigen Tataren stellen bis zu 14 Prozent der Gesamtbevölkerung, ihr Khanat hatte schon im Osmanischen Reich Sonderstatus und genoss zahlreiche Privilegien.
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