Geschätzt und verfemt
Max Barthel: Ein kleiner Verlag hat seine frühen Gedichte wieder ausgegraben, die es wert sind zu überdauern
In der Person Barthels geht die deutsche Dichtung, voller Musik und dem gewaltigen Gefühl der Natur (einem kosmischen Gefühl), in den Dienst der Revolution«, schrieb Ossip Mandelstam 1925 über einen kraftvoll aufsteigenden Ikarus, der als gefallener Engel in der Verdammnis endete. Der kleine Kunstblatt Verlag Dresden hat einige der schillernden Federn zusammengelesen, die es wert sein sollten, den fatalen Absturz zu überdauern.
Als Frontispiz das Ölporträt von Otto Nagel: Dichterblick hinter spiegelnden Brillengläsern - als hätte der Maler eine Irritation vorausgesehen. Max Barthel, 1893 in der Nähe Dresdens geboren, wuchs in allerärmsten Verhältnissen auf. Dem klugen Vorwort der Herausgeberin Irina Magritz ist zu entnehmen, wie schwer der Existenzkampf zwischen Müllkippe, Lumpensammeln, Betteln, Verdingen als Kammschleifer und Erntehelfer gewesen ist.
Mit 17 Jahren verschlägt es ihn ins Ruhrgebiet. Dort, zwischen Hüttenwerken, Hochöfen und Fördertürmen, entstehen seine ersten Gedichte. »Nächtliche Industriestadt«: In den Rauchschwaden, den »zum Himmel aufgebleckten Flammen« sieht Barthel die verzehrten Gesichte der in den Fabriken zu Tode Gekommenen, der Ausgestoßenen der Gesellschaft. Dann der Weltkrieg: »Die Dörfer brennen. Brand sind die Gedanken. / Die Toten - grabt die vielen Toten ein. / Die Hügel sind zerfetzt und wanken. / Ich will ein Mensch und kein Soldat mehr sein.« Welcher deutsche Dichter hat von Anfang an, bar jedes patriotischen Eifers, so früh die Grausamkeiten der Argonne-Schlacht beschrieben? Mit seinen Kriegsgedichten wurde Barthel schlagartig berühmt. Als 1920 sein Hauptwerk »Arbeiterseele« erschien, hatten ihn die Zeitereignisse so weit politisiert, dass er an der Seite Willi Münzenbergs zum Kongress der Kommunistischen Internationale nach Moskau fuhr. Gemeinsam gaben sie die Zeitschrift »Sowjetland im Bild« heraus.
Ossip Mandelstam war begeistert von Barthels Lyrik; er übersetzte mehr als fünfzig seiner Gedichte ins Russische. Dem schmucken Band ist eine Reminiszenz des Literaturwissenschaftlers Heinrich Kirschbaum beigegeben: »Max Barthel und Ossip Mandelstam«, und ein Verleger-Nachwort, welches Barthels Wirken »in höchsten Kreisen der Kommunistischen Partei« umreißt. Nach einem zweiten Besuch der Sowjetunion rückte Barthel von seinen früheren Überzeugungen ab. Wir wissen nicht, was ihn so erschüttert hat, dass er aus der KPD austrat und sich wenig später der Nazi-Ideologie annäherte. Schwer nachvollziehbar, wie er vom »armen Hund in der Arbeiterschlacht«, vom Revolutionslyriker zum Jodler in Goebbels‘ Zeitung »Angriff« mutieren konnte. Ist es die Unbedingtheit der Gefühle und Aktionen, die ein visionäres Feuer entfacht, pure Leidenschaft, die anfällig macht für Frontenwechsel?
Das mindert jedoch nicht die poetische Qualität der frühen Werke. Sie ins kulturelle Gedächtnis der Öffentlichkeit zurückzurufen, ist ein Verdienst der Edition.
Im Sturm der frühen Jahre. Max Barthel - frühe Gedichte 1916 - 1926. Herausgegeben von Irina Magritz. Kunstblatt Verlag Dresden. 116 S., geb., 19,95 €.
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