Ein Impfstoff gegen Diabetes

Umwelteinflüsse spielen eine ursächliche Rolle

  • Lesedauer: 5 Min.

Warum steigt die Anzahl der Menschen mit der Diagnose Diabetes Typ 1?
Das herauszufinden, ist das Ziel unserer Forschungsbemühungen. Klar ist: Der Anstieg kann nicht allein durch Gene und durch Vererbung verursacht werden. Es müssen Umweltbedingungen daran beteiligt sein, weil der Anstieg so dramatisch ist und so schnell verläuft.

Man geht davon aus, dass sich ungefähr alle zehn bis zwölf Jahre die Anzahl der Kinder mit Typ-1-Diabetes verdoppelt. Auf den Umweltfaktor gibt es auch so einige Hinweise. Zum Beispiel haben sich die Fallzahlen in den östlichen Bundesländern seit der Maueröffnung sehr stark erhöht.

Anette-Gabriele Ziegler

Die promovierte Humanmedizinerin Anette-Gabriele Ziegler leitet seit seiner Gründung im Jahr 2010 das Institut für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München. Die 1958 geborene Wissenschaftlerin ist eine der weltweit renommiertesten Forscherinnen auf dem Gebiet des Typ-1-Diabetes, in vielen internationalen Diabetes-Netzwerken vertreten und in Deutschland Sprecherin des Kompetenznetzes Diabetes mellitus. Ihre Forschung beschäftigt sich mit den Mechanismen der Entstehung und Entwicklung von Typ-1-Diabetes sowie der Vorbereitung von Therapien zur Prävention dieser Erkrankung. Mit ihr sprach Silvia Ottow.

Um welche speziellen Umweltbedingungen geht es?
Unsere Studien ergaben, dass diese Störung des Immunsystems sehr früh im Leben ihren Anfang nimmt. Auch wenn die Kinder noch keine Symptome haben und der Blutzucker noch nicht erhöht ist, gibt es eine Vorphase für den Diabetes. In dieser Phase kann man bereits Entzündungsmarker messen. Die Antikörper entstehen häufig schon in den ersten zwei Lebensjahren, und diese Zeit haben wir genauer untersucht. Dabei stellte sich heraus: Die Anzahl von Infektionen vor allem der oberen Luftwege in den ersten sechs Lebensmonaten ist mit einem Diabetes-Risiko verbunden.

Die Daten sind schon relativ solide, weil sie in drei verschiedenen Populationen oder Bevölkerungsgruppen gezeigt werden konnten. Je mehr frühkindliche Infekte, desto höher ist das Risiko für den Diabetes vom Typ 1, wahrscheinlich sogar auch für andere Autoimmunerkrankungen. Möglicherweise verändern solche Infektionen die Immunantwort und erhöhen damit die Empfänglichkeit für bestimmte Erreger. Wir konnten aber auch feststellen, wie wichtig die frühkindliche Ernährung ist. In zwei Studien zeigte sich: Wird einem kleinen Kind zu früh Beikost an Stelle von Milchnahrung gegeben, werden womöglich auch die insulinbildenden Betazellen zu früh stimuliert. Das kann ungünstig sein.

In unseren Untersuchungen hatten Kinder, die vor dem dritten Lebensmonat Müsli, Getreide oder auch andere Nahrung erhalten haben, ein höheres Diabetesrisiko. Experten empfehlen, Babys auf keinen Fall vor dem vierten Lebensmonat Beikost zu geben, aber manche Eltern halten sich nicht daran.

Wie weit sind die Forschungen an einer Impfung gegen Diabetes?
Derzeit läuft gerade unter dem Titel »Pre-POINTearly« eine erste Studie dazu. Der Name steht für Insulin als Primärintervention. Wir impfen Kinder mit Insulin, bevor die Fehlregulation des Immunsystems entsteht, und dieses das Insulin fälschlicherweise bekämpft. Dem will man durch eine Art Desensibilisierung vorbeugen. Das machen wir gerade bei Kindern, die ein erhöhtes Diabetes-Risiko haben. Sie kommen beispielsweise aus Familien, in denen schon jemand Diabetes vom Typ 1 hat. Aber natürlich ist das Ziel, die Impfung irgendwann allen Kindern anbieten zu können.

Wann wird das sein?
Medikamentenentwicklung dauert immer eine Zeit. Es muss eine Reihe von Prüfungen erfolgen. Wir befinden uns in der ersten Phase-II-Studie. Anschließend sind von den Zulassungsbehörden meistens zwei Phase-III-Studien gefordert. Zehn Jahre müssen wir ungefähr im Blick haben, bis die Impfung auf dem Markt erhältlich ist. Aber wir arbeiten mit Hochtouren darauf hin.

Was raten Sie Eltern kleiner Kinder?
Sie sollten nicht von den Ernährungsempfehlungen der Gesellschaft für Kinderernährung abweichen und feste Nahrung erst langsam zwischen dem vierten und sechsten Lebensmonat einführen. Bis dahin sollte man das Kind ausschließlich mit Milchnahrung versorgen, am besten stillen und nicht bereits Grießbrei oder das Getreide darunter mischen. Das wird gern gemacht, weil Kinder dann satter sind und besser durchschlafen. Aber der Magen-Darm-Trakt braucht seine Zeit, bis er entwickelt ist und feste Nahrung verarbeiten kann. Und diese Zeit muss man ihm geben, damit die Bakterien diesen Trakt bevölkern, die für eine gesunde Immunantwort wichtig sind.

Ich gebe inzwischen auch den Rat, Kinder vor Infektionen zu schützen. Die Einstellung, viele frühe Krankheiten härteten das Kind ab, sollte man nicht verfolgen. Es ist besser, das Kind bleibt gesund und hat keine schweren Infektionen, gerade im ersten Lebensjahr.

Halten Sie den Ansatz eines Forscherteams, Beta-Zellen im Komplex zu verpflanzen, für erfolgversprechend?
In jedem Fall. Jede Krankheit hat mehrere Therapieansätze. Einer besteht darin, die Krankheit zu verhindern. Aber bei jeder Therapie wird es Menschen geben, die darauf nicht ansprechen. Manche Kinder werden dennoch Diabetes entwickeln und auf die Impfung nicht ansprechen. Und für diese ist eine einfache und möglichst komplikationslose Therapie wichtig. Die Pumpe mit einem Sensor und einem Computerprogramm macht heute bereits das nach, was der Körper machen sollte, nämlich Blutzucker messen und genug Insulin ausgeben. Ein nächster Schritt wäre es, durch Transplantation solcher Insel-Zellen dem Körper die Möglichkeit zu geben, diese Arbeit wieder selbst zu verrichten. Im Moment ist das noch relativ risikoreich. Für Kinder kommt es noch nicht infrage, weil Medikamente gegen die Abstoßung gegeben werden müssen, die große Nebenwirkungen haben. Aber das Feld entwickelt sich. Auch da werden in den nächsten zehn Jahren sicherlich große Fortschritte gemacht werden. Eine Option ist es, Inseln von Beta-Zellen in Kapseln zu geben, damit sie nicht abgestoßen werden. Der Vorteil wäre, dass all die Menschen, die schon Diabetes haben, davon profitieren können.

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