Ende einer kulturellen Zeitkapsel

Neue Straße bringt die Moderne in das einst abgeschottete Ex-Königreich Mustang in Nepal

  • Ammu Kannampilly, Lo Manthang
  • Lesedauer: 3 Min.
Bis vor kurzem galt das ehemalige Königreich Mustang als abgelegenes Paradies im Himalaya. Es war nur über Maultierpfade erreichbar.

Mustang blieb Besuchern bis 1992 gänzlich verschlossen. Doch seit 2014 führt eine Straße in die geheimnisvolle Region im Norden Nepals und bringt mit Touristen und modernen Konsumgütern langsam das Ende des alten Lebens. Nach und nach ersetzen Solaranlagen die alten Kerosinlampen in der an Tibet grenzenden Region. Statt handgenähten Lederstiefeln und Kleidern tragen viele Einwohner nun Turnschuhe und Jeans. Während früher die Tore der Hauptstadt Lo Manthang wegen der Pferde nachts geschlossen werden mussten, bleiben sie heute offen. Nun knattern vor allem Motorräder übers Pflaster.

Auf den Dächern der mittelalterlichen, weiß gekalkten Häuser machen sich Satellitenschüsseln breit. »Ich weiß noch, wie wir erstmals nepalesisches Fernsehen empfangen konnten, vor knapp zehn Jahren«, erinnert sich der 30-jährige Tsewang Norbu Gurung. »Wir bezahlten damals 20 Rupien (18 Cent), um drei Stunden bei jemandem schauen zu dürfen, der einen Fernseher hatte.« Heute besitzt fast jeder Haushalt ein Fernsehgerät, und Männer wie Gurung schauen abends Bollywoodfilme, tibetische Dramen oder Fußball. »Früher musste alles - Reis, Öl, die meisten Grundnahrungsmittel - auf Maultieren hochgebracht werden, das dauerte Tage, jetzt bringt der Lastwagen alles in einem Tag«, erzählt er, während er mit Freunden in einer Teebar ein EM-Fußballspiel verfolgt.

Auch Gurung arbeitete am Bau der Straße mit, die Mustang seit zwei Jahren mit Indien und China verbindet. Heute betreibt er einen Souvenirladen. Seine Heimat war einst Zentrum des Salz-, Wolle- und Gewürzhandels über den Himalaya. Über Generationen führten Händler Karawanen über das Hochplateau. Nepal annektierte das Königreich Lo im 18. Jahrhundert und integrierte es in seinen Bezirk Mustang. Die Loba durften aber ihre Monarchie und ihre buddhistischen Bräuche behalten.

Mustang war so isoliert, dass die Königsfamilie erst 1995 zu ihrem ersten Auslandsbesuch nach Deutschland und in die USA flog. Als Nepal 2008 die Monarchie abschaffte, verlor auch das Königreich Lo seinen Status. Der heute über 80 Jahre alte Jigme Palbar Bista ist der letzte König einer 600 Jahre alten Dynastie. Sein Sohn Jigme Singi Palbar Bista erinnert sich noch an seine Kindheit in einem Palast mit 108 Zimmern ohne Strom. »Wir sind nicht wie andere Königsfamilien, lebten nicht im Luxus«, sagt der 60-Jährige. In die nächste Schule nach Jomsom musste Bista tagelang reiten oder trekken. Heute betreibt er ein Reisebüro und kümmert sich um die Renovierung des Palasts, der beim Erdbeben 2015 beschädigt wurde. Die Loba betrachten den früheren Kronprinzen noch immer als spirituellen Führer.

Um die Kultur des Landesteiles zu bewahren, beschränkt Nepals Regierung die Touristenzahlen und erhebt eine Besuchsgebühr von mindestens 500 Dollar. Trotzdem fürchten viele Einwohner um ihre kulturelle Identität. »Es ist wichtig, unsere Kultur zu bewahren. Ansonsten bleibt nichts Besonderes übrig von Mustang«, warnt der Leiter eines Klosters in der Hauptstadt, Khenpo Kunga Tenzin. »Wir hatten unsere Identität, unsere eigene Kleidung, aber jetzt verschwindet das alles.«

Souvenirhändler Gurung ist gespalten: »Wenn ich sehe, dass meine Generation die traditionellen Gesänge und Tänze nicht kennt, dann schäme ich mich ein bisschen. Aber insgesamt bin ich optimistisch. Das Leben wird einfacher.« AFP/nd

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