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Frau spricht Englisch

Seit der ersten Maidan-Revolution von 2004 hat sich das Nachtleben von Kiew gründlich verändert

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 6 Min.
Kiew gilt nicht nur als Ort zweier Revolutionen, sondern auch als neue Sexhauptstadt Europas. Das ist ein Problem für das ganze Land - vor allem jedoch für die ukrainischen Frauen.

Es ist ein später Freitagabend in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Während die meisten Cafés und Restaurants schon um 22 Uhr schließen, beginnt das Nachtleben erst zwei Stunden später. Am helllichten Tag ist Kiew als wichtigster Schauplatz zweier Revolutionen bekannt, die jüngst die Geschichte Europas verändert haben. Seit der ersten Maidan-, der Orangen Revolution von 2004 zeigt aber auch die nächtliche Seite der ukrainischen Hauptstadt ein anderes Gesicht. Zentrum wie Stadtrand sind geprägt von bunten Nachtklubs und Discos, die vor allem am Freitag und am Samstag ihren Wochenumsatz machen.

Einer dieser Klubs im historischen Bezirk Podil ist an diesem Abend überfüllt. Es warten draußen noch einmal so viele Menschen wie schon drinnen sind. Es ist ein Bild, das niemanden mehr überrascht, der in den letzten Jahren in Kiewer Discos war. Während die Frauen fast ausschließlich aus der Ukraine kommen, stammt etwa die Hälfte der männlichen Besucher aus dem Ausland.

»Daran sind wir schon längst gewöhnt. Deswegen verlangen die meisten Klubbesitzer schon seit Jahren, dass das Personal ordentlich Englisch spricht«, berichtet eine Kellnerin, die seit anderthalb Jahren in dem Klub angestellt ist. »Spaß macht diese Arbeit nicht, vor allem aus moralischer Sicht nicht. Doch es ist eine sichere Stelle in schwierigen Zeiten«, fügt sie hinzu.

Wer sind denn diese Männer aus dem Ausland, die das Nachtleben Kiews genießen? »Einerseits sind das Geschäftsreisende aus den reichen EU-Ländern, die in der Nacht Spaß haben wollen. Andererseits natürlich auch Sextouristen, die meisten aus der Türkei, aber auch aus EU-Staaten«, erklärt die Kellnerin, die lieber anonym bleiben möchte. Es ist eine neue Realität, mit der Kiew konfrontiert ist: Von vielen wird die schöne Stadt am Fluss Dnjepr bereits als neue Sexhauptstadt Europas angesehen.

Vor allem die Orange Revolution war ein Wendepunkt. Seit 2004 sind die Türen in die Ukraine geöffnet. Für die Austragung des Eurovision Song Contest schaffte die Regierung in Kiew 2005 die Visumpflicht für EU-Bürger ab - zunächst war das nur zeitweilig vorgesehen. Doch dann zeigte sich, dass die Ukraine keinen Grund hat, an der Situation etwas zu ändern. Steigende Besucherzahlen aus dem Ausland kamen der Kiewer Regierung gelegen. »Der richtige Anstieg der Anreisen folgte jedoch erst in den letzten zwei Jahren - trotz der politischen Lage«, teilt die Nationale Polizei der Ukraine mit.

Die Polizei schätzt die ansteigenden Zahlen realistisch ein. Es sei zwar nicht so, dass Sex der einzige Grund ist, warum Ausländer öfter als früher in die Ukraine fahren. Schließlich seien auch die Geschäftskontakte zuletzt enger geworden. Doch durch die drastische Abwertung der ukrainischen Währung Hrywnja sind die Preise in der Ex-Sowjetrepublik äußerst niedrig. Das lockt die Kunden der in der Ukraine illegalen Sexindustrie an. Eine Stunde Sex kostet in Kiew durchschnittlich zwischen 10 und 70 Euro. Nicht nur in der EU, sondern auch in der Türkei muss man viel tiefer in die Tasche greifen.

Prostitution ist in der Ukraine offiziell verboten. Aber sie boomt in Zeiten großer wirtschaftlicher Krisen stärker denn je - und in der Krise befindet sich das Land derzeit. Obwohl die Preise im europäischen Vergleich niedrig sind, bietet die Tätigkeit in der illegalen Sexindustrie ein gutes und stabiles Einkommen. Es liegt deutlich über dem Durchschnittsgehalt in der ukrainischen Hauptstadt von etwa 200 Euro pro Monat. Im Rest der Ukraine liegt es mit 130 Euro noch darunter. »Das Geschäft mit dem Sex ist eine Riesenindustrie, die sowieso existieren würde. Es wäre für alle besser, wenn wir sie wie im Westen legalisieren würden«, schlägt Rada-Abgeordneter Mychajlo Gawryljuk vor.

Das ist keine neue Idee. Sie erscheint jedoch besonders gegenwärtig vielen als sehr sinnvoll. Zurzeit floriert die Prostitution in Kiew und der Ukraine in zwei Formen: als sogenannte Massagesalons und als Escort-Agenturen, die in erster Linie auf Reiche und Ausländer ausgerichtet sind. »Ohne Tolerierung durch die Polizei würden diese beiden Formen nicht funktionieren«, sagt Gawryljuk. Er räumt jedoch ein, dass sich seit der Gründung der neuen Nationalen Polizei die Lage verbessert habe. Doch die Anzahl der Bordelle steigt schneller, als die Polizei reagieren kann.

Für Ausländer halten vor allem die Escort-Agenturen besondere Angebote bereit. Im Internet gibt es zahlreiche Webseiten, die »Sextouren« mit Models in Kiew anbieten - »all inclusive«. Konkret heißt das: Der Klient wird von einem von ihm ausgewählten Model vom Flughafen abgeholt und in eine extra angemietete Wohnung im Kiewer Zentrum gebracht. Zum Schluss wird er wieder zum Flughafen gefahren. Ein solches Vergnügen ist jedoch vergleichsweise teuer. Von 500 Euro für drei Stunden bis 1900 Euro für die sogenannte »48-Stunden-Tour«. Dennoch sind diese Angebote recht beliebt.

In letzter Zeit gibt es immer mehr Ausländer, die mit fast kostenlosem Sex rechnen. Das sind größtenteils die Leute, die an einem Freitagabend in jedem großen Klub Kiews zu finden sind. »Sowohl die wirtschaftliche Lage als auch die Perspektiven für junge ukrainische Frauen sind miserabel«, sagt die Kiewer Frauenpsychologin Olena Schumalowa. »In diesen Zeiten wollen viele Frauen auswandern, um im Ausland ein neues Leben zu beginnen«, betont sie. Die Länder der EU gelten als beliebte Ziele.

Außerdem sei gerade in Kiew die Konkurrenz zwischen Frauen enorm groß, fügt sie hinzu. »In Kiew und der Ukraine gibt es insgesamt mehr Frauen als Männer. Es ist kein Geheimnis, dass Frauen hier im Schnitt deutlich besser aussehen als Männer.« Schlicht gesagt: die Auswahl sei also recht klein. Die Frauen würden Schumalowa zufolge bewusst oder unbewusst alles tun, damit sie besser als die anderen aussehen. »Viele bekommen damit psychische Probleme, die Chance, einen Ausländer zu bekommen, wollen viele nicht verpassen«, betont die Psychologin. Sie spricht von einer »traurigen Entwicklung«.

So suchen viele Besucherinnen Kiewer Nachtklubs vor allem Ausländer, um mit ihnen möglichst langfristige Beziehungen einzugehen. Diese aber haben meist ganz andere Absichten. »Für viele Ausländer ist es ganz normal, Sex zu kaufen. Das gehört aber nicht zur ukrainischen Tradition«, sagte die Soziologin Julia Strebkowa gegenüber der Zeitschrift »Korrespondent«. »Wenn reiche Männer aus anderen Ländern kommen und unsere Mädchen ihre Zeit mit ihnen verbringen, machen die sich illusionäre Vorstellungen von menschlichen Beziehungen. Das ist zwar naiv, hilft aber die Banalität der Prostitution zu vermeiden«, unterstreicht sie.

Experten glauben, dass insbesondere diese Faktoren zur Beliebtheit und zum Erfolg des Sextourismus in der Ukraine und Kiew beitragen: Einerseits ist es die Armut im Allgemeinen und die von Frauen im Besonderen. Andererseits gibt es nur wenige Möglichkeiten, gutes Geld zu verdienen, aber sehr starke kriminelle Strukturen. Die sind auch nach der zweiten Maidan-Revolution von 2014 nicht verschwunden. So sei die Ukraine in eine Reihe mit Ländern wie Thailand gerückt, die ebenfalls für ihre Sex-Industrien bekannt sind.

Neben Kiew gibt es in der Ukraine drei Städte, die auf der Agenda der Sex-Touristen ganz oben stehen. Neben Lviv, das als westlichste Metropole der Ukraine für Westeuropäer gut erreichbar ist, sind das Charkiw und Odessa. Doch unumstritten auf dem ersten Platz liegt die Hauptstadt und größte Stadt des Landes. Kiew mischt auch im europaweiten Vergleich auf den ersten Rängen mit. Der Umfang der Sex-Industrie stellt jedoch für das ganze Land ein großes Problem dar. Die Politik kann es nicht lösen.

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