Zum Wohlfühlen und zum Wachbleiben

»Abseits des Popkorn-Kinos« - »nd« stellt in einer Serie kleine Kiez-Kinos vor. Teil 2: »City Kino« im Wedding

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich gilt der Wedding als rau, schnörkellos und wild. Kaum ein Berliner Stadtteil wird von außen mit ähnlich hartnäckig sich haltenden Klischees bedacht. Und kaum ein Stadtteil entwickelt weniger ausgefeilte PR-Kampagnen, die dieses eindimensionale Bild zu korrigieren trachten. Das gilt auch für das Kulturangebot: Wie ein ausgestreckter Mittelfinger in Richtung all der saturierten Charlottenburger und hippen Neuköllner thront das »Alhambra« trotzig an der pulsierenden Kreuzung Müllerstraße/Seestraße. Es ist das Multiplex-Kino mit dem wahrscheinlich schlechtesten Programm von ganz Berlin.

Hier gibt es nicht, wie in anderen Mainstream-Lichtspielhäusern der Stadt, auch mal den neuesten Woody Allen oder einen massenkompatiblen Programmkinofilm wie »Toni Erdmann« zu sehen, sondern nur Konventionelles vom Schlage Transformers, Til Schweiger und Marvel - meist bis spät in die Nacht, als solle einem hier mitgeteilt werden: Der Wedding ist kein Ort zum Wohlfühlen, sondern einer zum Wachbleiben.

Dass dieses Fleckchen Erde in Wahrheit beides kombiniert und sich längst nicht mehr nur in Bezug auf die migrantische Herkunft vieler seiner Bewohner, sondern auch in puncto Klassengeschmack vielfältig präsentiert, das kann bewundern, wer das »Alhambra« links liegen lässt und einen Kilometer weiter die Müllerstraße entlanggeht. Auf der rechten Seite erscheint irgendwann, unscheinbar und fast verschämt, die Aufschrift »City Kino« über einem Reklamefenster, wie man es von Dorfkirchen kennt.

Wäre da nicht nebenan dieser Miniatur-Eiffelturm, man könnte sich tatsächlich in einer beliebigen westdeutschen Kleinstadt wähnen. Dabei hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren hier das einzige Programmkino des Wedding etabliert: Anne Lakeberg und Wiebke Wolter eröffneten Ende 2014 an dieser Stelle das »City Kino«, in dem sie klassisches Arthouse anbieten.

Um zu dem 220 Zuschauern Platz bietenden Vorführraum zu gelangen, muss das Publikum über den Hof des hier beheimateten »Centre Français« in das Hintergebäude eintreten und über die geschwungene Treppe mit Messinggeländer ins Foyer emporschreiten. Am ersten Tag der kurzen Sommerpause 2016 stehen die beiden Betreiberinnen an der Bar und parlieren über ihren persönlichen Filmgeschmack. »Ich bin irgendwie schon die Experimentellere von uns beiden, oder?«, fragt Lakeberg, und Wolter nickt, obwohl ihr das Thema erkennbar unangenehm ist: »Ja, wahrscheinlich schon. Aber unsere Vorlieben sind für die Programmgestaltung doch sowieso zweitrangig.«

Viel lieber spricht sie über die lange Geschichte des Hauses. »1958«, so Wolter, »wurde das Kino durch die französischen Alliierten gebaut, um den kulturellen Austausch zwischen den deutschen Bewohnern und den französischen Soldaten zu fördern.« Nach dem Abzug der Armee 1992 wurde hier ein Kino namens »City Wedding« betrieben, das 2007 wegen ausbleibender Zuschauerresonanz schließen musste.

Warum stürzten sich die beiden Frauen jetzt in dieses ökonomische Abenteuer? Intensive Marktanalysen, sagt Lakeberg, haben sie sich im Vorfeld gespart. Sie selbst lebe seit einigen Jahren im Wedding und habe schon lange den Eindruck gehabt, dass ein Programmkino in der Gegend fehle. »Reich werden kann man mit dem Zeigen von Nischenfilmen nirgendwo«, weiß sie, »aber dass wir unsere Kinoleidenschaft so frei und eigenständig ausleben und davon auch noch leben können, das schien uns hier von Anfang an ideal zu passen.«

Die beiden Mittdreißigerinnen sind allerdings keine Quereinsteigerinnen, sondern haben sich ihr Handwerk noch ganz traditionell angeeignet. Nach ihrem geisteswissenschaftlichen Studium lernten sich Lakeberg und Wolter während der Ausbildung zur Kauffrau im Filmtheatermanagement kennen. Im »City Kino« sind sie dementsprechend für alles zuständig, von der Abrechnung über den Verkauf bis zur Programmgestaltung.

Bei letzterem versuchen sie, die Wünsche des lokalen Stammpublikums einzubeziehen. Neben sicher nicht die Massen anlockenden Perlen wie dem Berlinale-Gewinner »Seefeuer« oder dem kunstsinnigen »The Neon Demon«, zu denen Lakeberg und Wolter manchmal auch Regisseure und Darsteller einladen, sichern leichte, oft französische Komödien wie »Monsieur Claude und seine Töchter« oder »Frühstück bei Monsieur Henri« den Betrieb.

Denn die gehen immer, auch wenn Lakeberg und Wolter wissen, dass solche Filme Risiken bergen: »Wir sind zwar im französischen Zentrum, verstehen uns aber ganz und gar nicht als Kino mit französischem Schwerpunkt«, betont Wolter.

Die beiden ambitionierten Betreiberinnen sehen ihr Konzept nicht nur darin bestätigt, dass sich ihr Kino ökonomisch rentiert. Auch, dass bisweilen sogar Besucher aus Kreuzberg oder Friedrichshain vorbeischauen, verleiht ihnen Motivation zum Weitermachen. »Ein schöner Nebeneffekt«, freut sich Lakeberg, »könnte sein, dass der eine oder andere bemerkt, dass er ja doch ganz nett ist, der Wedding.«

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