Die Zukunft der Rente ist strittig
Union, Gewerkschaften und Arbeitgeber haben recht unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie dem demografischen Wandel zu begegnen ist
Als Hauptthema im kommenden Bundestags-Wahlkampf soll das von der Union lancierte Thema Rente neue Harmonie zwischen CDU und CSU vorgaukeln und den Streit in Sachen Flüchtlinge vergessen machen. Doch tatsächlich bietet die Rente genug Stoff für einen neuen unionsinternen Hauskrach. Schließlich geht es doch um die Verteilung von etlichen Milliarden Euro an Beitrags- und Steuermitteln. Doch die Großzügigkeit gegenüber den 21 Millionen Rentnern stößt an ihre Grenzen. Die schwarze Null des Bundeshaushaltes schwebt bedrohlich über den Köpfen der Rentenreformer.
Lesen Sie Teil 1 unserer Serie zur Zukunft der Rente hier.
Ver.di-Chef Frank Bsirske sorgte für klare Worte: »Wir brauchen einen Kurswechsel in der Rentenpolitik«, erklärte er vor versammelter Mannschaft. Das Rentenniveau müsse stabilisiert und dann wieder angehoben werden. Nach jahrzehntelanger Arbeit »muss die Rente reichen, um ein anständiges Leben zu führen«.
Den Kontrapunkt setzte der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, in der »Bild«-Zeitung. In Zeiten der puren Terrorberichterstattung war sein Vorschlag, das Renteneintrittsalter bis 2041 auf 73 Lebensjahre zu steigern, ein medialer Coup. In einer der IW-Studien ist die Rechnung nachzulesen: Bei einem Verhältnis von Menschen im Erwerbsalter zu Rentnern von drei zu eins, heißt es dort, mit der »Annahme eines stabilen Rentenniveaus sowie konstanter Beitragssätze würde die einzig verbleibende Variable, das Renteneintrittsalter, theoretisch auf das erwähnte Niveau steigen«. Wissenschaftlich erklärbar ist der Vorstoß, zumindest bei den gegebenen Annahmen, aber sozial und politisch ist er brisant.
So politisch abwegig die gedachte Rechnung auch ist, zeigt sie doch, wie unversöhnlich die »Tarifpartner« bei diesem Thema einander gegenüber stehen. Die als Ziel vorgegebene Zahl 73 zeigt die Richtung im Berliner Lobby-Ringen auf. Die Arbeitgeber wollen den Automatismus beibehalten, wonach Überschüsse in der Rentenversicherung über die Erhöhung der Reserven schnurstracks zu einer Senkung des Beitragssatzes führen. Dennoch dürfte der Rentenbeitrag in der Zeit von 2025 bis 2029 voraussichtlich nach geltendem Recht bis auf 21,5 Prozent klettern. Die Gewerkschaften - als Interessenvertreter sowohl der Rentner als auch der Beitragszahler - sehen in einem Vorziehen dieses Anstiegs einen akzeptablen Finanzierungskompromiss. Im September wollen die Gewerkschaften eine Rentenkampagne starten - »für ein würdiges Leben im Alter«. Dabei wollen sie nicht nur kostenträchtige Forderungen stellen, sondern auch Vorschläge zu deren Finanzierung unterbreiten.
Die Arbeitgeber argumentieren damit, dass immer mehr Beschäftige über die 65 hinaus weiter arbeiten wollten und könnten. Zudem steige mit der höheren Lebenserwartung auch die Rentenbezugsdauer.
Die Gewerkschaften bezweifeln diesen »Zweckoptimismus« in Bezug auf die Beschäftigungschancen älterer Menschen und halten die Erhöhung der Lebensarbeitszeit für eine reine Abzocke der Rentner. Die Berliner Koalition ist gespalten. Als Ausweg hat sie jetzt die Flexi-Rente entdeckt, die die starre Regelaltersgrenze aufhebt. Arbeitgebern und Arbeitnehmern bleibt es allein überlassen, den Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Beruf festzulegen. Doch es bleibt der Referenz-Zeitpunkt, von dem an die versicherungsmathematischen Abschläge beziehungsweise die Zuschläge bei späterem Ruhestand errechnet werden.
Unterschiedlicher Meinung sind Gewerkschaften und Arbeitgeber über die künftige Beschäftigung der Senioren. In der Gruppe der 60- bis 65-Jährigen ist die Erwerbstätigkeit zuletzt von einem Viertel auf inzwischen mehr als die Hälfte aller Altersgenossen gestiegen. Gleichzeitig verschob sich die Grenze des effektiven Endes der Berufstätigkeit unter anderem durch Frühinvalidität von durchschnittlich rund 61 auf gut 64 Lebensjahre.
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