Der Höhepunkt der Erdogan-Festspiele

Auch die Oppositionsparteien CHP und MHP nehmen an Großdemonstration teil, HDP wird geächtet

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 2 Min.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Sonntag in Istanbul auf einer Großdemonstration erneut schwere Beschuldigungen gegen den in den USA im Exil lebenden türkischen Prediger Fethullah Gülen erhoben und ihn sowie seine Bewegung der Anzettelung des Militärputsches vom 15. Juli beschuldigt. Nach Angaben des katarischen Senders Al Dschasira sollen mehrere hunderttausend Menschen dem Aufruf von Erdogan zur Teilnahme an der »Demokratie- und Märtyrerversammlung« gefolgt sein.

In seiner Rede griff Erdogan die westeuropäischen Regierungen erneut scharf an und beschuldigte sie sogar der Kumpanei mit den Putschisten, ohne konkret zu werden. Erdogan beklagte, dass von ihm namentlich genannte Gülen-Vertreter, ob in Deutschland oder den USA, bisher nicht, wie von ihm verlangt, ausgeliefert worden seien. Das stellte er als hinreichende Erklärung für die von ihm behauptete Türkei-Feindlichkeit des Westens dar. Wörtlich sagte Erdogan laut »Al Dschasira«: »Der Westen hat uns nicht gezeigt, dass er gegen den Putsch ist ... Sein Schweigen ist unentschuldbar.«

Sein scharfes Vorgehen gegen Andersdenkende, tatsächliche oder auch nur vermeintliche Putschisten bzw. Anhänger Gülens rechtfertigte er mit der Behauptung, dies sei eine Aufgabe, die ihm »vom türkischen Volk verliehen« worden sei. Er habe diese Aufgabe selbstverständlich angenommen. Deswegen sei er aber »kein Despot oder Diktator«. Erdogan hatte wie an jedem Abend zuvor in Ankara und Istanbul seit dem Putsch, das türkische Volk aufgerufen zusammenzustehen.

Allerdings legte er auch dieses Mal selbst fest, wer zu den Putschgegnern und damit Demokraten gehören darf und wer nicht. Von den drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien waren zwei ausdrücklich eingeladen: die sozialdemokratisch orientierte Republikanische Volkspartei (CHP) sowie die großtürkische Ziele vertretende Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Türkische Medien kolportieren, dass der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu lange gezögert habe, während MHP-Chef Devlet Bahceli sofort zugesagt haben soll.

Ministerpräsident Binali Yildirim hatte die Anhänger der Regierungspartei angewiesen, diesmal keine Parteisymbole mitzubringen, sondern einfach als »Türken« teilzunehmen. »Der Geist einer Nation, einer Flagge, eines Heimatlands und eines Staats wird an diesem Tag vorherrschen«, wird Yildirim zitiert. Den Fernsehbildern nach zu urteilen, wurden die Regiewünsche des Staats- und des Ministerpräsidenten getreulich verfolgt.

Dazu gehörte auch, dass Anhänger der dritten Oppositionspartei, der kurdischen linken Gruppierung Demokratische Partei der Völker (HDP), ausdrücklich nicht zur Kundgebung eingeladen war, obwohl die HDP vom ersten Tage an den Putsch verurteilt hatte. Tagesthema Seite 2

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -