Atlantis an der Ostsee

Wo lag denn nun Vineta? Ein neues Buch versucht eine Gegenüberstellung der Theorien

  • Martina Rathke, Koserow
  • Lesedauer: 3 Min.
Vineta, die in der Ostsee versunkene Stadt, beflügelte Historiker, Literaten und die Fantasie von Träumern. Das Buch »Vineta - Trugbilder« geht der Vineta-Utopie auf den Grund.

Die in der Ostsee versunkene Stadt Vineta hat die Fantasie von Generationen von Menschen befeuert. Gab es sie wirklich, die »rieke Stadt«? Was ist Legende, Fiktion? Und wann wurde Vineta fast real - weil amtlich? Die Autorin Martina Krüger ist für ihr neues Buch den Vineta-Quellen auf den Grund gegangen und hat sie auf Glaubwürdigkeit abgeklopft. Der Titel nimmt das wichtigste Ergebnis ihrer Recherche voraus: »Vineta - Trugbilder« heißt der 130 Seiten starke, illustrierte und mit Kartenmaterial angereicherte Band.

Vineta - das Atlantis der Ostsee? Bereits im Jahr 360 vor Christus - und damit gut 1300 Jahre vor der ersten Vineta-Quelle - berichtet Platon über das antike, reiche Atlantis, um an ihm sein Konstrukt eines Idealstaates zu entwerfen. Vineta erscheint als Blaupause der Platonschen Utopie. Auf die Entdeckung beider Städte wartet man bis heute. Dennoch und vielleicht gerade deswegen dienen sie bis heute als Projektionsfläche für menschliche Tugenden und Fehlbarkeiten. Vineta sei längst zum Code geworden, schreibt Krüger.

Die Autorin führt den Leser auf den Ursprung der mit der Insel Usedom verbundenen Vineta-Legende: Zunächst berichtet Ibrahim ibn Jakub (965) über die noch namenlose Stadt im Norden. Vor dem Hintergrund der beginnenden Christianisierung verortet dann gut einhundert Jahre später Adam von Bremen in der Hamburgischen Kirchenchronik (1075) die Stadt unter dem Namen »Jumne« an der Peenemündung zur Ostsee. In der mit Waren angefüllten Stadt, so schreibt der Chronist, sollen Slawen, Griechen, Barbaren und auch Sachsen friedlich, ehrenhaft in Lebensart und Gastfreiheit zusammengelebt haben. Der Name »Vineta« taucht erstmals 1168 bei Helmold von Bosau auf. Der Samen für die Sage um die an ihrem Reichtum und Hochmut untergegangene Stadt ist gelegt und diese erfährt - so scheint es mit jeder weiteren Überlieferung - eine neue Überhöhung.

Krüger ist als langjährige Sprecherin der Vorpommerschen Landesbühne quasi Vineta-Expertin, und sie ist Journalistin. Das merkt man ihrem historischen Vineta-Exkurs an. Sie zitiert Quellen, stellt die potenziellen Vineta-Kandidaten wie Menzlin, Koserow, Wollin, Peenemünde und Barth vor, an denen Legendenforscher die Stadt vermuteten, Archäologen nach Handels- und Kriegsplätzen gruben oder sich sprachliche Analogien ergaben. Das Buch ist klar strukturiert. Die komprimierte Gegenüberstellung dieser Theorien ist lesenswert. Ein vinetischer Zeitstrahl schafft Überblick.

Obwohl nahe dran an den belegbaren Fakten, gelingt es Krüger, im unterhaltsamen Plauderton zu bleiben und die Quellen mit einem Augenzwinkern zu kommentieren.

Übrigens: Beinahe wäre die Vineta-Fiktion Realität geworden. Thomas Kantzow, der im Dienste der pommerschen Herzöge Nachrichten aus Pommern sammelte, »entdeckte« im Jahr 1538 tatsächlich Vineta vor Koserow, wie Krüger berichtet. Durch einen am Boot befestigten Glaskasten meinte er, befestigte Straßen, gar eine Kirche und ein Rathaus gefunden zu haben. 1618 fand dieses Vineta dann Eingang in die Lubinsche Landkarte, die vom Herzog von Pommern-Stettin in Auftrag gegeben war. »Nun scheint die Sache geklärt«, schreibt Krüger. »Der Vineta-Standort war fest gemeißelt in der wogenden See.« Der Mythos Vineta ist seitdem von Koserow nicht mehr zu trennen.

Archäologen sind nach Grabungen allerdings überzeugt, dass es im Fall von Wollin durchaus eine faktische Grundlage für die Vineta-Fiktion gegeben haben könnte. Dort ist für das 10. und 11. Jahrhundert ein größerer Handelsplatz nachgewiesen, an dem Slawen, Sachsen, Wikinger Waren tauschten. »Vineta aber bleibt ein Ort der Sage«, sagt der Archäologe Fred Ruchhöft. dpa/nd

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