Tränen in Thüringen

Zwei Minister der rot-rot-grünen Regierung sehen sich Amtsmissbrauchsvorwürfen ausgesetzt

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Es dauert einen kurzen Moment, ehe Dieter Lauinger weiter sprechen kann. Da habe man einem jungen Menschen erklärt, es sei mit den Behörden alles geregelt, er könne beruhigt ins Ausland gehen, um dort eine Schule zu besuchen, hatte Lauinger gerade noch gesagt. Dann bricht dem Grünen-Politiker die Stimme ab. Tränen steigen ihm in die Augen. Er muss tief ein- und ausatmen. In dem kleinen Café im Erfurter Süden, in dem er am Donnerstag sitzt, wirkt die Stille, die in diesem kurzen Moment da ist, umso drückender. Der kurze Moment scheint wie eine kleine Ewigkeit.

Dann fängt sich Lauinger wieder, auch wenn seine Augen glasig bleiben. »Und während er weg ist, aus welchen Gründen auch immer, ich weiß es nicht, entscheidet eine übergeordnete Behörde: Ätsch-Bätsch, das war jetzt alles doch nicht so und wenn Du wieder zurück kommst, hast Du zwar ein super Zeugnis, super Noten, Du bekommst ein Stipendium vom Land Thüringen, gerade für die elfte Klasse, aber sorry, Du müsstest leider noch mal in die zehnte Klasse.« Der junge Mensch, über den Lauinger spricht, ist sein eigener Sohn.

Die Geschichte, die zu diesem Auftritt Lauingers führt, ist an der Oberfläche ziemlich einfach. Weil der Vorwurf ziemlich simpel ist, gegen den sich Lauinger in diesem Moment verteidigt. Das, was unter dieser Oberfläche liegt, ist dagegen ziemlich kompliziert. Sowohl das, was die Geschichte von Lauingers Sohn betrifft. Als auch das, was diese Geschichte für Rot-Rot-Grün in Thüringen bedeutet.

An der Oberfläche geht es um den Vorwurf, Lauinger habe sein Amt als Thüringer Justizminister missbraucht - weil er zugunsten seines Sohnes, einen Referenten im Thüringer Bildungsministerium anrief. Schnell macht deshalb das Wort von der Sohnemann-Affäre die Runde. Den Anruf räumt Lauinger sogar ein. Er haben allerdings als Privatperson dort angerufen, sagt er. Er habe von seinem Handy aus telefoniert, sich nicht von seiner Sekretärin im Justizministerium ins Bildungsministerium durchstellen lassen und auch beim Beginn des Gesprächs sofort gesagt, er rufe als Vater an, nicht als Minister. Das ist Lauingers Kernverteidigung: Diesen Anruf hätte jeder Vater für sein Kind gemacht.

Notwendig wurde dieser Anruf, auch das ist unstrittig, weil Familie Lauinger vor einigen Wochen ziemlichen, komplizierten Ärger mit der Thüringer Bildungsverwaltung hatte. Der Sohn Lauingers hat einen Auslandsaufenthalt absolviert, für ein Vierteljahr eine Schule in Neuseeland besucht. Nach Darstellung Lauingers hatten sowohl die freie Schule, die sein Sohn besucht als auch das zuständige Schulamt den Aufenthalt vorab genehmigt - verbunden mit der Zusage, Lauingers Sohn müsse dann eine für Zehn-Klässler in Thüringen eigentlich obligatorische Prüfung nicht machen. Ein Referent im Bildungsministerium kassierte diese Zusage dann später - während der Sohn schon im Ausland war. Thüringens Bildungsministerin Birgit Klaubert (LINKE) wiederum kassierte dann die Entscheidung ihres Referenten.

Hat Lauinger seine politischen Kontakte innerhalb der LINKE-SPD-Grüne-Landesregierung spielen lassen, wie es ein am Mittwoch vorab bekannt gewordener Bericht des »Focus« nahe legt? In den Minuten vor seinen Tränen weist Lauinger diesen Vorwurf entschieden zurück. Dass im Bildungsministerium schließlich Klaubert über den Fall entschieden habe, sei eine Sache des Bildungsministeriums, sagt Lauinger. Er habe damit nichts zu tun. »Das war eine Entscheidung der Arbeitsebene des Bildungsministeriums.«

Mit diesem Satz freilich setzt Lauinger Klaubert massiv unter Druck - eine Ministerin, die seit Monaten in der Kritik steht, weil ihr nicht nur die Opposition, sondern auch die Bildungsgewerkschaften und Elternvertreter vorwerfen, sie habe die Bildungsverwaltung im Land überhaupt nicht im Griff. Klaubert muss sich nun fragen lassen: Warum hat sie in dieser Sache eigentlich eine Ministerentscheidung getroffen? Wäre das nicht eine Sache für die Arbeitsebene gewesen? Und Lauinger setzt Klaubert unter Druck, weil er all jene bestärkt, die seit Monaten sagen, unter der LINKEN sei das seit Jahren immer wieder kritisierte Chaos in der Bildungsverwaltung des Freistaates eher noch schlimmer, bestimmt jedenfalls nicht besser geworden - weil, so sagen ihre Kritiker, Klaubert einfach nicht durchgreift und im Bildungsbereich noch mehr als früher jeder macht, was er will.

Minuten, nachdem seine Tränen getrocknet sind, muss Lauinger noch eine Frage beantworten: Kann er diejenigen - egal ob Minister, Bauarbeiter, Sekretärin -, die sich über die Thüringer Bildungsbehörden beschweren, jetzt besser verstehen als in der Vergangenheit? »Ja!«

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