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Ahnungslos im Interesse des Staatswohls

Die EU leistet sich eine Geheimdienstplattform gegen islamistische Gefahren - sie ist unkontrollierbar

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Um den Austausch von Informationen über sogenannte dschihadistische Gefährder zu verbessern, haben 30 europäische Inlandsgeheimdienste in Den Haag ein neues informelles Anti-Terror-Zentrum errichtet. Es ist in die 2001 gegründete Counter Terrorism Group (CTG) des sogenannten Berner Clubs eingebunden. Es gibt eine CTG-Datenbank, bei der nationale Geheimdienste offenbar in unterschiedlicher Intensität verschiedenste Daten eingegeben und abrufen. Bislang konnte das Bundesamt für Verfassungsschutz mit ausländischen Diensten keine gemeinsamen Dateien speichern, seit einem Kabinettsbeschluss von Ende Juni, dem eine Gesetzesänderung folgte, ist das anders.

Im Berner Club, der bereits seit 1974 besteht, sind Geheimdienste aller EU-Staaten sowie Norwegens und der Schweiz vertreten. Man arbeitet intensiv mit den USA und Israel zusammen. Unter den Mitgliedsdiensten sind viele, die im Gegensatz zum deutschen Inlandsgeheimdienst auch exekutive Möglichkeiten, also Polizeifunktionen haben. Obwohl die Europäische Union kein Mandat für die Zusammenarbeit von Geheimdiensten hat, sind die Polizeiagentur EUROPOL, das Lagezentrum und der Anti-Terrorismus-Koordinator in die neue operative Geheimdienstplattform eingebunden. Wer eine Parallele zur Organisationsstruktur in Deutschland entdeckt, wo in gemeinsamen Abwehrzentren Geheimdienste, Polizeien und weitere Sicherheitsbehörden 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche zusammenarbeiten, liegt sicher nicht falsch. Das verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Diensten verschwimmt dabei zunehmend. Im EU-Bereich hat es das nie gegeben.

Nun wollte der Bundestagsabgeordnete André Hahn von der Linksfraktion, der auch stellvertretender Chef des für die Geheimdienstaufsicht zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGR) ist, von der Bundesregierung wissen, womit sich das Anti-Terror-Zentrum befasst. Er erfuhr: nichts. Außer, dass das Geheimdienstzentrum, in das nationale Verbindungsbeamte entsandt werden, planmäßig am 1. Juli 2016 in Betrieb genommen wurde. Nicht einmal die Frage, welche Länder bereits im Zentrum mitarbeiten oder wie hoch die Kosten sind, wurden beantwortet. Auch nicht in eingestufter, also mit einem Geheimstempel versehener Form.

Gründe des »Staatswohls« stünden dagegen, ließ die Bundesregierung wissen. Andernfalls »müsste die Bundesregierung sicherheitsrelevante Informationen weitergeben, die das Bundesamt für Verfassungsschutz unter der sogenannten Third-Party-Rule erhalten hat. Beachte man diese Rechte Dritter nicht, so untergrabe man damit die vertrauliche Zusammenarbeit der Nachrichtendienste. Es wurden, so erklärt die Regierung immerhin, für das neue Zentrum keinerlei Vereinbarungen geschlossen, es gebe keine Memoranden oder Verträge zur Arbeit der operativen Geheimdienstplattform. Ihre Bildung wurde lediglich durch die «Heads of Service», also die jeweiligen Geheimdienstvertreter selbst beschlossen. Da auch das europäische Parlament keinerlei Kontrollrechte besitzt, hat man so ein völlig unkontrollierbares Gebilde geschaffen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat am Donnerstag bei der Vorstellung von Anti-Terror-Maßnahmen betont, dass ein Bündelungsansatz der EU-Potenzen auch im Bereich von Prävention und Deradikalisierung sachgerecht wäre. Aufbauend auf dem «Radicalization Awareness Network» sollten Erfahrungsaustausch und Koordination in einem eigenen Zentrum gestärkt werden.

Dass die Aussagen zu diesem Bereich so dürftig sind, hat gewiss nichts mit Geheimhaltung zu tun. Der mangelnde Inhalt ist nur ein Beleg dafür, dass man in der Bundesregierung offenbar über zivilgesellschaftliche Ansätze zur Terrorismusbekämpfung kaum nachdenkt.

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