Das letzte Aufgebot
Uli Hoeneß will wieder Präsident des FC Bayern München werden. Von Hans-Dieter Schütt
Die Wahrheit schämt sich längst nicht mehr vor diesem Eingeständnis: Der Sport verlor seine Unschuld, seit sich die Gewieften die Bälle zuwerfen. Und was das Edle im Menschen betrifft: Das Leben ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis - mag am Ende die Moral siegen, leider sind wir erst am Anfang.
Zu den eingeschriebenen Grundsätzen des FC Bayern München gehörte zum Beispiel, »nur unbescholtene Personen« in den Verein aufzunehmen. Erfahrung macht vielleicht nicht klug, aber schlau: Nunmehr kann laut Satzung jeder Mitglied werden, der »die Ziele des Clubs unterstützt«. Das ist wie eine neue Festschreibung: Unbescholtene gibt es zwar weiterhin, aber das sind vorrangig jene, von denen nichts abhängt. Von Uli Hoeneß soll weiter einiges abhängen. Im November will er erneut Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender des Meisterklubs werden. Er hatte geweint, gewunken, pustete wie ein Gewichtheber unter voller Last - im Mai 2014, als sich der millionenfache Steuerhinterzieher von den Fans verabschiedete. Ins Gefängnis mit Gelöbnis: »Das war’s noch nicht.«
In Nick Hornby Roman »Ballfieber« sagt der Manager zu einem Spieler: »Leb so, dass nie ein Comeback nötig wird.« Ein Verweis darauf, dass alle Rückkehr immer auch mit dem Hochmut verbunden ist, die Welt habe sich nicht verändert. Irrtum. Sie wird maschineller, das betrifft Gemüter und Strukturen. Der Patriarch Hoeneß: Ist er inzwischen nicht zu schwerfällig für die immer dynamischer werdenden Choreografien einer globalen Gewinnmaximierung? Dieser Typus - Plebejer und Papst, Malocher und Majestät - verlor seine wahre Freiheit vielleicht in jenem Moment, kam also »hinter Gitter« in jenem Augenblick, da er präsidial wurde und nicht mehr, als Manager, neben dem Trainer auf der Bank am Spielfeldrand saß. Bodennähe. Ortsfestigkeit.
Künftig wächst alles, was er noch sein könnte, aus dem Geist der eigenen Tragödie, aber dies schmälert nach wie vor nicht den Treuegrad der Fans. Ein Phänomen. Im Netz schwelgen sie derzeit im Austausch bewegender Momente aus der Hoeneß-Vergangenheit: In einem Hotel wartet die Juniorenmannschaft der Bayern lange auf ihren Kapitän Uli, der Junge wird schließlich bei den Angestellten gefunden, sie umringen ihn, er macht ihnen aufstachelnd klar, dass sie unterbezahlt seien und also unbedingt mehr Lohn fordern müssten. Oder: Mit Paul Breitner aus Freilassing bewohnt er drei Jahre eine WG, sie spielen gemeinsam in allen Schüler- und Juniorenmannschaften, Hoeneß wird den Wehrdienstverweigerer Breitner später vor der Polizei verstecken. Oder: Sein erster Arbeitsvertrag als Manager schließt Gewinnprozente ein, er lässt den Kontrakt bald ändern. »Der FC Bayern hätte sich dumm und dämlich an mich gezahlt.« Nun ja, wir wissen, er ist auch anders zu Unsummen gekommen.
Rückkehr in ein Spitzenamt: Was in einer Bank, einem Autokonzern, einer politischen Institution so reibungslos kaum möglich wäre - Hoeneß geht das Wagnis an, im wahren Sinn des Wortes unverschämt. Auch wenn er künftig eher repräsentativ als kraftvoll administrativ agieren sollte - ausgerechnet der Gezeichnete scheint noch immer Sympathieträger eines wehrhaften Glaubens in anschwellender Verzweiflung zu sein. Denn allüberall gibt es keinen ungetrübten Blick mehr auf die Dinge; jede Leistung provoziert Fragen nach dem verbotenen Treibmittel; Siege verloren ihren guten Ruf, weil es immer auch Siege der Finanzen, der Lobbyisten und jener einen Hand sind, welche die andere wäscht. Bis sich Schmutz in Gold verwandelt, also Gold in Schmutz. Der Fan? Ein zunehmend vom Markt verletzter Gläubiger. Und doch! Und immerfort! Selbst dort, wo der Sport gründlichste, gnadenloseste Kapitalkonzentration ist, bleibt die Hoffnung, gerade auch Fußball sei trotz allem mehr als nur ein Wirtschaftszweig.
Wahrscheinlich wird der 64-Jährige in München der letzte Protagonist dieses letzten Aufgebots sein - dessen Stärken Wies’n-Wärme, Fan-Verbundenheit und Legenden-Liebe heißen. Mit Sportdirektor Matthias Sammer, der sich am Superstress verwundete, verlor der Klub ein Stückchen Zukunft, die doch unweigerlich wiederkommen wird: eisiger Ehrgeiz, kompromisslose Härte, sehniges Kalkül. Gegenüber ihm wirkte Hoeneß - jedenfalls nach außen hin - stets wie ein trotzig strahlender Rest Berührbarkeit. Die freilich ebenfalls sehr vereinbar war mit einer Effizienzphilosophie, die sein Lebenswerk wurde und den FC Bayern zu einem der stabilsten Sportkonzerne formte.
Im Prinzip muss man den verurteilten Uli Hoeneß nach wie vor als Verschonten betrachten. Und man darf an seinem Beispiel wieder einmal diskutieren, wie schwer Menschen das Loslassen, der Geruhsamkeitsweg, die wirkliche Einkehr gelingt. Aber er steht eben auch als Beleg dafür, dass die Sünde, wird sie ein juristischer Gegenstand, mitunter in einem weit schärfer anklagenden Lichte steht als - der Sünder. Der Sünder ist der Inbegriff des - Menschen. Des schillernden Menschen. Im Schillern kam das Zwielicht in die Welt. Diese Sonne der Ambivalenz, die uns an den Tag bringt. Sie enthüllt unbarmherzig? Ja, aber sie leuchtet auch. Dann nennen wir den Tag einen - Spieltag. Und Bayern läuft dann wieder mit Hoeneß auf.
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