Paradoxien einer Zwitterkultur
Iran: Architektur und Kunst - eine Ausstellung in der ifa-Galerie Berlin
Der offizielle iranische Beitrag »Instant-Past« auf der Architektur-Biennale Venedig 2014 und das Atomabkommen im Sommer darauf gaben für die ifa-Galerien Stuttgart und Berlin den Impuls, eine Ausstellung über Aspekte heutiger iranischer Kultur am Beispiel von Architektur und Kunst zu zeigen. Azita Ebadi und Leila Araghian wurden als Co-Kuratorinnen für die Schau mit dem Titel »Dem Gestern ein Morgen geben - Iran: Architektur und Kunst« hinzugezogen.
Ausstellungen über aktuelle iranische Kunst sind im Westen immer (noch) ein Politikum, das erklärt vielleicht den verharmlosend klingenden Titel, der auch eine beliebige Ausstellung zum Thema Denkmalschutz ankündigen könnte. Das Verhältnis von Tradition und kulturellem Erbe zur Moderne ist im architektonischen Kontext generell ein Reizthema. Konservativ gesehen bedeutet »Moderne« dann die drohende Auslöschung der gesamten traditionellen Vergangenheit. Progressiv wird darin eine notwendige, sich naturgemäß wandelnde und identitätsstiftende Erneuerung im Sinne von Fortschritt gesehen, mit dem Ziel, möglichst international eine Vorreiterrolle einzunehmen. Für den Bereich Architektur ist das sicher nicht weiter tragisch, für andere gesellschaftspolitische Bereiche - zum Beispiel die Situation von Frauen, der Meinungsfreiheit und Menschenrechte oder einer orthodoxen Religionsausübung - aber schon. Denn das Festhalten und fortlaufende Zementieren von Traditionen hat hier natürlich eine ganz andere Wirkung, die sich immer unmittelbar auf das Leben der Menschen auswirkt.
2013 trat der als moderat geltende Geistliche Hassan Ruhani das Amt als 7. Präsident der Islamischen Republik Iran an. Mit 78 Millionen Einwohnern zählt Iran zu den zwanzig bevölkerungsreichsten und größten Staaten der Welt. Bereits im Wahlkampf hatte Ruhani angekündigt, die Bürgerrechte zu stärken und sich für eine Verbesserung der Wirtschaftslage und Aufhebung der Nuklearsanktionen einzusetzen. Die beiden letzteren Absichten trugen zum Abschluss des Atomabkommens und Aufhebung von Wirtschafts- und Finanzsanktionen bei. Die Erwartungen hinsichtlich einer Liberalisierung im Innern wurden bislang jedoch weniger erfüllt. Auch aus diesem Grund leben nach wie vor viele iranische Gegenwartskünstler im Exil. Das Auswärtige Amt bezeichnet die Menschenrechtslage im Iran auch unter Ruhani »trotz gradueller Verbesserungen im Bereich der Kunst- und Pressefreiheit« als »nahezu unverändert kritisch«. Denn Regimegegner sowie religiöse und ethnische Minderheiten seien regelmäßig Opfer staatlicher Repressionen und die Anzahl an Hinrichtungen weiterhin hoch. Die Regierung überwacht und zensiert Medien und Internet sowie alle Kunst- und Kulturveranstaltungen. Auf dem Pressefreiheitsindex 2016 von Reporter ohne Grenzen landet Iran auf Platz 169 von 180.
Das erklärt die schwierige Situation für die Ausstellungsmacher der ifa-Galerie, die sich vielleicht auch aus diesem Grund entschieden haben, einen Teil des Biennalebeitrages von Diba Tensile Architecture in die Schau zu integrieren. Auf einer horizontalen Zeitschiene von 1900 bis heute sind vierzig Bauwerke aus drei Epochen - der Ära Reza Schah Pahlavis (1925-41), Schah Mohammad Reza Pahlavis (1942-79) und der Islamischen Republik (nach der Revolution 1979) - gelistet. Vertikal sind die Bauten auf einer farblich differenzierten Skala zwischen den Polen Historismus und Modernismus angeordnet. Am stärksten waren die Impulse der international orientierten »Modernisierung« in den vorrevolutionären Jahren 1960 bis 1978.
Die kleinen Schwarz-Weiß-Fotos sind Reproduktionen in zumeist nicht besonders hoher Qualität. Erst beim zweiten Blick erweisen sich die Bilder der einzelnen Gebäude als Booklets mit abreißbaren Postkarten, die man mitnehmen darf und soll. Ergänzt wird diese auf textliche Erklärung angewiesene Adaption des Biennale Beitrags, die unterm Strich für mehr Offenheit plädiert, durch Fotoarbeiten, Installationen und Videos von zwei weiteren Künstlerinnen und einem Künstler. Die modisch und edel gekleideten und dabei kriegerisch anmutenden Frauenfiguren in Mona Hakimi-Schülers (geb. 1977 in Teheran, lebt in Berlin) Installation und Collagen der Serie »A Short Path Between Holy Shrine and Bazar« sind einerseits filigran und genau bis in kleinste Details ausgeführt, um dann am Ende doch gesichtslos zu erscheinen. Dass es hier um die Rolle der Frau in der iranischen Gesellschaft geht, besser gesagt um das Aufbrechen traditioneller Rollenbilder, ist unschwer zu erkennen. Besonders in der provozierenden Installation, die die Paradoxien einer archaisch-modernen Zwitterkultur auf die Spitze treibt. Man meint, eine ausgefallene Schaufensterauslage für die Teheraner Schickeria vor sich zu haben, inklusive Schoßhündchen und einer Tasche mit hervorquellenden Geldscheinen als Dekoration.
Mehraneh Atashi (geb. 1980 in Teheran, lebt in Amsterdam) setzt sich in zwei kurzen Videos mit persischer Dichtung auseinander. Die Deutungsfreiheit von Poesie oder Mystik, das Wechselspiel von Erinnerung und Vergessen sowie der Gegensatz von Sprechen und Verstummen sind Themen, mit denen sich die Exiliranerin beschäftigt.
Dadbeh Bassir (geb. 1978 in Teheran, lebt dort) präsentiert seine analog collagierten Städteansichten in einer Reihe von Leuchtkästen. Die Fotos zeigen Ausschnitte der Skyline der Megacity Teheran, jeweils auf einem zu zwei Dritteln das Bild einnehmenden Wolkenmeer. Ob es sich hierbei um eine Metapher für das Himmelreich handelt oder ein Vakuum unter der Zwölfmillionenmetropole, in der es gewaltig brodelt und die Rebellion viele Gesichter haben kann, bleibt offen.
Die Texte im Katalogheft lassen leider vieles im Argen und sprechen eher allgemein von immensen Widersprüchen in der iranischen Gesellschaft, ohne diese konkret zu benennen. Die gleiche Behutsamkeit und sehr vorsichtige Subversivität ist in den Kunstwerken spürbar, die mehr ein Suchen nach dem Möglichen als eine direkte Anklage gegen herrschende Zustände ausdrücken. Darin spiegeln sie auch die enttäuschten Hoffnungen vieler Iraner auf eine Erholung der Wirtschaft infolge des Atomabkommens mit dem Westen, die derzeit in Zukunftsängste umschlagen.
Bis 18. September, ifa-Galerie Berlin, Linienstraße 139/140, Mitte, Di-So 14-18 Uhr.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!