Frankreich: Burkini-Streit ging ohne Burkini los
Anlass der Auseinandersetzung um die Ganzkörper-Schwimmbekleidung auf Korsika war männliches Dominanzgebaren
Es gab gar keinen Burkini. An den Stränden rund um die Massenschlägerei im Norden Korsikas vom 13. August, die über Frankreich hinaus zu einer Diskussion über die Ganzkörper-Schwimmanzüge für Frauen führte, trug keine einzige Frau solch ein Kleidungsstück. Nichtsdestotrotz verboten daraufhin einige korsische Kommunen und die Stadt Cannes das Tragen des Burkinis. Am Freitag folgte Nizza.
Nach über einer Woche Auswertung der verschiedenen Zeugenaussagen gilt jedoch folgende Version der Abläufe im korsischen Dorf Sisco als wahrscheinlich: Eine Familie mit nordafrikanischen Wurzeln, die in einem Vorort von Bastia lebt – darunter drei Brüder und eine Frau mit Schleier – hielt sich am betreffenden Samstag an einem kleinen Strand nahe der Stadt auf, um zu fischen. Die Männer der Familie hatten offenbar ein Schild aufgestellt, auf dem »Betreten verboten« stand (»interdiction de circuler«) – und damit versucht, den Strand für sich zu privatisieren. Wer versuchte, sich dort trotzdem niederzulassen, bekam von den Brüdern Ärger. So sollen zwei Touristen und einige Kinder, die auf ihrer Kanu-Fahrt eine Pause einlegen wollten, den Strand deshalb wieder verlassen haben.
Der große Streit brach dann aus, als ein Tourist ein Foto von der Bucht machte – aus Perspektive der Familie ein Versuch, die Frau mit ihrem Schleier aufzunehmen, gegen den die Brüder meinten, sich wehren zu müssen. Eine Gruppe Jugendlicher aus Sisco, alarmiert vom Verhalten der Männer, mischte sich in den Streit ein, einer der Jugendlichen wurde geschlagen. Das wiederum brachte den von Dorfbewohnern alarmierten Vater des Jungen auf den Plan, der eine Schlägerei mit den drei Brüdern der Familie begann. Dass die Brüder dabei eine Harpune als Waffe genutzt haben sollen, gilt inzwischen als widerlegt. Um den Vater zu verteidigen, organisierten sich etwa 40 Dorfbewohner, zogen zu dem Strand und prügelten sich mit der Familie aus Bastia. Erst ein Großeinsatz von Polizei und Feuerwehr mit Hubschrauber konnte die Auseinandersetzung beenden. Nach Angaben des Staatsanwalts mussten die Beamten einen Lynchmord an der Familie verhindern.
Im Ergebnis gab es mehrere brennende Autos und fünf Verletzte, zwei festgenommene Dorfbewohner, drei festgenommene Brüder der Familie vom Strand – und ein örtliches Burkini-Verbot. Wie die Strandbekleidung in die Auseinandersetzung geriet, bleibt unklar.
Die drei festgenommenen Brüder waren der Polizei bereits wegen Drogenhandels und Widerstands bekannt, aber nicht wegen religiöser Radikalität, berichtet die französische linke Tageszeitung »Libération«. Fazit des Staatsanwalt Bastias: Die Auseinandersetzung sei diesmal »keine Geschichte schrecklicher Radikaler gegen böse Rassisten.« Es handele sich vielmehr um das Aufeinandertreffen einer autoritären Haltung der korsisch-marokkanischen Brüder auf dem Strand und einer Überreaktion der Dorfbewohner. »Aber ich versichere Ihnen, dass wir solche Geschichten hier auch erleben, wenn zehn Italiener mit ihren Vespas lautstark in einem Dorf aufkreuzen.«
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!