Französischer Geist in Berlin

Wie die polnische Jüdin Françoise Frenkel Deutschland und Frankreich versöhnen wollte

  • Monika Melchert
  • Lesedauer: 5 Min.

In Berlin eine französische Buchhandlung zu gründen, war ein kühner Gedanke, so bald nach dem Ersten Weltkrieg, als sich Deutschland und Frankreich als Erzfeinde gegenüberstanden. Françoise Frenkel aber überwindet alle bürokratischen Hürden und eröffnet 1921, zusammen mit ihrem Mann Simon Raichenstein, »La Maison du Livre«, die erste französische Buchhandlung. Sie braucht dann auch nicht nur Mut und ausreichend Kapital, sondern vor allem eine Vision: der französischen Literatur eine Heimstatt im Herzen der deutschen Hauptstadt zu schaffen.

Die polnische Jüdin Frymeta Idesa Frenkel, genannt Françoise, hatte an der Sorbonne in Paris Literatur studiert und liebte Frankreich mit ihrem ganzen Intellekt und ihrer ganzen Seele. Wenn man wie sie am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, geboren ist (1889 in Piotrków nahe Łodz), kann es wohl nicht anders sein.

Ihr Geschäft, das klassische Literatur und Neuerscheinungen anbietet, vor allem zunächst von Diplomatengattinnen wegen der Modezeitschriften aus Paris frequentiert, wird mehr und mehr zu einem Anziehungspunkt der Intellektuellen der Stadt: Berliner und viele Ausländer kommen, und beinahe jeder berühmte französische Schriftsteller, der Berlin besucht, hält eine Lesung in der Buchhandlung von Françoise Frenkel, darunter sind André Gide, Henri Barbusse, Roger Martin du Gard oder André Maurois. In der Kleiststraße, im wohlhabenden Westen Berlins angesiedelt, platzt der Laden schon bald aus allen Nähten, und sie vergrößert ihre Buchhandlung mit einem Umzug in die Passauer Straße, unweit des KaDeWe.

Mit viel Charme und Geschick entwickelt sie »La Maison du Livre« zu einem veritablen Zentrum der französischen Kultur. Seit der Machtübernahme durch die Nazis jedoch wird es, vor allem durch die Rassengesetze von 1935, immer schwieriger für sie, die Lieferungen der französischen Verlage über die Grenze zu bekommen. Am 10. November erlebt sie die schreckliche Pogromnacht, sieht die Synagoge brennen - doch ihre Buchhandlung ist, als »ausländisches Unternehmen«, zunächst nicht von der Zerstörung betroffen. Viele Berliner bekunden ihre Sympathie, bringen Blumen und halten ihr weiterhin die Treue.

Doch Ende August 1939 legt ihr das französische Konsulat dringend die Ausreise nach Paris nahe. Fast all ihr Besitz bleibt in Berlin zurück und wird enteignet, nur ein Überseekoffer mit ihren persönlichen Dingen kommt auf Umwegen über die Grenze. Dort wird er später von der deutschen Besatzungsmacht beschlagnahmt; allein dafür beantragt sie später eine Entschädigung und erhält 1959 von der Bundesrepublik eine Wiedergutmachung von 3500 DM. Was Françoise Frenkel in jenen Jahren zwischen den Kriegen für die Verständigung unserer Völker und die Verbreitung der französischen Kultur in Deutschland geleistet hat, ist gar nicht hoch genug einzuschätzen.

1940 beginnt dann unter der Besatzung der Wehrmacht ihr Leidensweg durch den Süden Frankreichs. Dorthin fliehen alle, die von den Deutschen bedroht sind: Antifaschisten und vor allem Bürger jüdischer Herkunft. Es herrscht allgemeine Verunsicherung. Ihr Ehemann war bereits 1933 mit einem Nansen-Pass über die Grenze gegangen, er wird 1942 in Paris während einer Razzia verhaftet und nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Françoise Frenkel geht nach Avignon, dann nach Vichy - was ein schlechter Rat ist, denn das ist der Sitz der mit den Deutschen kollaborierenden französischen Pétain-Regierung -, schließlich hofft sie, in Nizza in Sicherheit zu sein. Noch ist sie im Besitz gültiger Aufenthaltspapiere und bekommt auch Lebensmittelkarten, denn die Knappheit wird immer drastischer, und der Schwarze Markt blüht.

Die Deutschen fordern von der Vichy-Regierung die Auslieferung jüdischer Flüchtlinge, Denunziation und Angst werden allgegenwärtig. Doch Françoise Frenkel findet in Nizza das Friseurehepaar Marius, aufrichtige Patrioten, die sie in ihrem Salon verstecken und alles daransetzen, den Deutschen ein Schnippchen zu schlagen. Wechselnde Verstecke folgen dicht aufeinander, mal findet sie Zuflucht in einem Schloss, mal muss sie sich in einer primitiven Waldhütte verstecken. Immer wieder sind da Franzosen, die selbstlos helfen. Freunde in der Schweiz besorgen 1942 zwar ein Einreisevisum für Françoise Frenkel, doch die Grenzkontrollen auf französischer Seite sind derart rigide, dass ihre ersten beiden Fluchtversuche scheitern.

Die Frau, nicht mehr jung und von vielen Strapazen gezeichnet, ist am Ende ihrer Kräfte. In Annecy wird sie inhaftiert und vor Gericht gestellt, doch aufgrund des gültigen Visums entlassen, und schließlich gelingt im Juni 1943 die rettende Flucht in die Schweiz. Dort schreibt sie ihren authentischen Bericht »Nichts, um sein Haupt zu betten«, packend und erschütternd. Das Buch erscheint 1945 in Genf, sie widmet es »den Menschen guten Willens«, die hochherzig geholfen und »Widerstand geleistet haben bis ans Ende«. Über den weiteren Lebensweg von Françoise Frenkel weiß man nicht viel; sie kehrt nach dem Krieg nach Nizza zurück und stirbt dort im Jahr 1975: eines von zehntausenden Exilschicksalen unter der Nazi-Herrschaft.

In einem Vorwort für die Neuausgabe 2015 bei Gallimard Paris bekennt der französische Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano, wie ihn dieser Lebensbericht beeindruckt hat, als das Buch kürzlich, eher zufällig, auf einem Trödelmarkt in Nizza wiedergefunden wurde: Es bleibt »für mich auf immer der Brief einer Unbekannten, postlagernd, seit einer Ewigkeit vergessen und jetzt zugestellt, scheinbar irrtümlich, vielleicht aber war er doch für einen bestimmt«. Wir alle können uns als Empfänger dieser Botschaft empfinden.

Françoise Frenkel: Nichts, um sein Haupt zu betten. Mit einem Vorwort von Patrick Modiano. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Hanser. 288 S., geb., 22 €.

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