Olympia aus dem Weltall
Rio hat an Tokio übergeben: Der Gastgeber der Sommerspiele 2020 verspricht viel Neues - und hat alte Probleme
Am Späten Sonntagabend schwenkte im Maracana Yuriko Koikes die Olympische Flagge. Tokios Gouverneurin übernahm den weißen Stoff mit den fünf Ringen von Rios Bürgermeister Eduardo Paes - und im Rahmen der Abschlussfeier präsentierten sich auch schon die Gastgeber der nächsten, der 32. Olympischen Sommerspiele.
In Tokio spricht man schon lange von der Eröffnung der kommenden Spiele. Eine Schau der unbegrenzten technologischen Möglichkeiten werde das. Womöglich wird eine Meteoritendusche genannte Rakete den Nachthimmel erhellen, gleichzeitig könnte das Ganze aus dem Weltall gefilmt werden. Und das wäre nur der Startschuss zu den »innovativsten Spielen der Geschichte«, wie das Organisationskomitee von Tokio 2020 gern betont. Die nächsten Olympischen Sommerspiele, nach 1964 die zweiten in Japans Hauptstadt, sollen nicht nur sportlich beeindrucken. Japan will sich auch als weltoffenes, innovatives Land präsentieren.
Das mit der Innovation dürfte klappen. Außer Zweifel scheint, dass die Spiele von Tokio ein technologischer Quantensprung werden. 1964 überraschte Japan zur Eröffnung mit dem Shinkansen, dem damals schnellsten Zug der Welt, sowie der ersten TV-Übertragung per Satellit und dem hochmodernen Flughafen Haneda. In vier Jahren sollen die Schwerpunkte auf Automatisierung und grünen Technologien liegen. Ein Hotel mit Robotern als Rezeptionisten gibt es schon im südwestlich gelegenen Nagasaki, für 2020 könnten voll automatisierte Beherbergungen auch in der Hauptstadt gebaut werden. Offiziell bestätigt sind Pläne über den Einsatz von Wasserstoffautos, mehrsprachigen Übersetzungsmaschinen und neuer Datenanalyse für die Wettkämpfe. Auch von fahrerlosen Taxis wird gesprochen. Und die höchste Auflösung für TV-Übertragungen, 16 Mal höher als das in Europa schon als superfein geltende Format HD, war in Japan schon für Rio 2016 Realität.
»Wir wollen der Welt zeigen, dass es zum Leben keine bessere Stadt gibt als Tokio«, sagt Masa Tayaka, ein Sprecher des Organisationskomitees. In internationalen Vergleichen zur Lebensqualität schneidet die japanische Hauptstadt tatsächlich hervorragend ab. Das dichte öffentliche Transportsystem dürfte die häufigen Staus und Verkehrsunfälle von Rio vermeiden. Tokio ist zudem sauberer, sicherer und in seinen meisten Stadtteilen ruhiger als jeder der jüngsten Austragungsorte olympischer Sommerspiele. In Sachen Barrierefreiheit ist Tokio auch schon jetzt ein vergleichsweise fortschrittlicher Ort für die Paralympischen Spiele - und gelobt Besserung.
Allerdings haben die Organisatoren auch schon ein paar Rückschläge verkraften müssen. Obwohl es sich nur um einen Umbau handelte, wurde etwa das geplante Olympiastadion im westlichen Zentrum der Stadt derart teuer, dass Premierminister Shinzo Abe persönlich die Reißleine zog und das Projekt neu ausschreiben ließ. Dadurch wird das Stadion voraussichtlich nicht rechtzeitig für die Rugby-WM 2019 fertig. Und eines der schlagenden Argumente bei der Olympiabewerbung, dass Tokio 80 Prozent aller Wettkämpfe innerhalb eines Achtkilometerradius austragen werde, wird wohl nicht eingehalten werden. Wegen gestiegener Kosten wurde auch diese Planung neu aufgenommen.
Da die 2014 verabschiedete Agenda 2020 des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) mehr Wettkämpfe außerhalb der Gastgeberstadt erlaubt, dürfte Tokio von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machen. Ein möglicher neuer Wettkampfstandort ist dabei die Präfektur Fukushima, an deren Küste im März 2011 ein Atomkraftwerk havarierte. Die Situation dort ist weiterhin außer Kontrolle, 150 000 Menschen aus den umliegenden Dörfern leben weiterhin fern ihrer Heimat. In jenen Zonen Fukushimas dagegen, die nicht strahlungsbedingt evakuiert wurden, könnten olympische Wettbewerbe stattfinden. Kritiker sagen, dass auch dies ein Sicherheitsrisiko wäre. Die Regierung bestreitet das.
Neben Gesundheitsrisiken und den Finanzen, die für den hoch verschuldeten Staat noch zu einem größeren Problem werden könnten, steht hinter der Weltoffenheit ein weiteres Fragezeichen. Herzliche und großzügige Gastgeber werden die Japaner ganz bestimmt. Mit Premier Abe hat im ostasiatischen Land aber ein Rechtsruck stattgefunden, durch den die Medien stärker kontrolliert und mit einer möglichen Verfassungsreform auch individuelle Rechte eingeschränkt werden könnten. Kaum zwei Prozent der Bevölkerung sind Ausländer, und die drei Prozent in Tokio lassen die Metropole als eine der wenigsten internationalen Weltstädte dastehen.
So wird bei fortan steigernder medialer Aufmerksamkeit das Bild, das Tokio von nun an abgibt, umso wichtiger. Das geht natürlich auch über sportliche Ergebnisse. Für Rio lautete das Ziel, die sieben Goldmedaillen aus London 2012 deutlich zu übertreffen, was der japanischen Delegation mit 12 Siegen gelungen ist. Für Erfolge in vier Jahren wurden Nachwuchsprogramme ausgebaut und eine neue Akademie errichtet. Daheim will Japan auf dem dritten Rang der Nationenwertung landen. Gute Chancen bestehen in einigen für 2020 neu aufgenommen Disziplinen. Baseball ist neben Fußball die beliebteste Sportart und Karate wurde in Japan erfunden. Hinzu kommen Surfen, Klettern und Skateboard, was unter Jugendlichen in den letzten Jahren populär wurde. Vielleicht werden die Gastgeber nach einer hochtechnologisierten Eröffnungsfeier auch hier beeindrucken.
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