Der Maler Horst Zickelbein - heute wird er 80 Jahre alt
Peter H. Feist
Lesedauer: 3 Min.
Horst Zickelbein wird heute 80. Eine Retrospektive auf sein Schaffen als Maler und Grafiker wird allerdings erst ab 11. Februar in seiner Heimatstadt Frankfurt (Oder) die Bewunderer seiner künstlerischen Eigenart erfreuen.
Seit 1958, dem Ende von Studium und Meisterschülerschaft in Berlin, dem Handwerkslehre, Kriegsdienst und Gefangenschaft vorausgegangen waren, arbeitet Zickelbein freischaffend. Anfangs wechselte er mehrere Male seine Gestaltungsweise. Im Wechsel von heftigen Spannungen in den Bildern und empfindsamer Stille mag man eine Konstante seiner Äußerungen erkennen. Seine Arbeiten, die seit den 60er Jahren zusehends auf die abstrakte Wirkung von Formen und vor allem Farben setzten, sich teilweise auch hinter surrealen Bildtiteln gleichsam gegen Vereinnahmung verschanzten, waren dennoch immer in dem Gesamtbild präsent, das sich von der bildenden Kunst in der DDR formierte. Einige urteilsfähige Kunstkritiker und kleinere Galerien, die die formale und geistige Ausstrahlungskraft seiner Bildideen wahrnahmen, trugen dazu bei, dass Zickelbein auf das Kunstverständnis seiner Zeitgenossen wirken konnte. Er holte sich Anregungen aus der Weltkunst, von denen manche, wie die kantigen Farbflächen Poliakoffs, sonst wenig Beachtung in der DDR fanden, und konnte bei Reisen Inspirationen aus Natur, Licht und kulturellen Relikten der mittelmeerischen, antiken Welt gewinnen.
Zickelbein konnte 1969-74, gegen Widerstand örtlicher Kräfte, das große Wandbild im Foyer der neuen Stadthalle von Chemnitz, damals Karl-Marx-Stadt, malen. Es korrespondiert mit Fritz Cremers »Galilei«-Skulptur über die Verantwortung der Wissenschaftler, und Cremer drohte, wie Zeitzeugen berichten, seine Figur zurückzuziehen, wenn Zickelbein sein Bild nicht ausführen dürfe. Das Gemälde ist ganz singulär innerhalb der Welle von damaligen Monumentalmalereien. Den hölzernen Auftragstitel »Die Befreiung der Wissenschaft durch die sozialistische Revolution« interpretierte der Maler mit einer dynamischen Komposition, leuchtenden Farbflächen, skizzierten Figuren, geläufigen ebenso wie rätselhaften Motiven. Nie wurde eine umfassende Analyse dieses hoch komplexen Bildes, das sich der landläufigen Plakativität entzog, gedruckt. Die gewissermaßen offizielle Geschichte der »Kunst der DDR 1960-1980« von Ullrich Kuhirt (1983) erwähnt es nur nebenbei. Zur ideellen und künstlerischen Denunziation von ostdeutscher »Auftragskunst«, die nach 1989 einsetzte, taugte es nicht. In dem materialreichen Buch des Leipzigers Peter Guth über architekturbezogene Kunst in der DDR (1995) gibt es nur eine Fußnote, keine Abbildung. Die Akademie der Künste der DDR verlieh Zickelbein dafür 1977 ihren Kollwitz-Preis, aber das Bild blieb ohne Nachfolge.
Zickelbein lässt in seinen vorwiegend auf Papier gezeichneten oder gemalten Arbeiten nur noch selten gegenständliche Verweise auf menschliche Figuren oder Dinge schemenhaft auftauchen. Er lotet den Schwebezustand zwischen Konkretheit und der allgemeinen emotionalen Wirksamkeit von Farb-Form-Konstellationen aus, wie zum Beispiel schon in dem Blatt »Auschwitz« von 1982. Es ist eine besonders treffende, besonders ergreifende Annäherung an dieses Thema, weil es »unfassbar« bleibt. Ein eingegrenztes Stück Erde, banal, unruhig, oder Menschenmenge? Massengrab? Acker, auf dem Gedenken keimt?
Zickelbeins Arbeiten setzen nicht endende Gedankenketten in Gang, und viele knüpfen ausdrücklich an die Ketten vorausgegangener Kunstleistungen an, um der Vergeudung von Traditionen zu begegnen, die heute so leichtfertig begangen wird. In der Berliner Ausstellung »Künstler sehen Kunst« (galerie parterre) ist derzeit auch ein kleines Blatt von Zickelbein zu sehen: »Hommage à Chillida (8. Sinfonie von Beethoven)«. Überdeutlich zitiert der Deutsche die eisernen Klammerformen, die für den baskischen Stahlplastiker kennzeichnend sind und manchem von der Skulptur vor dem Kanzleramt vertraut sind. Vielleicht hörte er Beethovens Achte, während er am 12. 3. 2003, 14-15 Uhr, zeichnete, wie unter der Zeichnung vermerkt ist, und fügte so den verschiedenen transparenten Farbschichten noch die Sinnschicht einer anderen Kunst hinzu. Horst Zickelbein fand schon früh die Konkretheit eines einzelnen Sachverhalts, die damals die Theorie von der realistischen Gestaltung forderte, zu wenig für das, was seine Bilder geistig bewirken sollten. Er plädierte für das verpönte »Allgemein Menschliche«. Seine Bilder wurden auf diese Weise reich und dauerhaft.
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