Wie ein wertvolles Gemälde

Wiedergelesen: «Aquis submersus» von Theodor Storm

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 5 Min.

Es heißt, sie hab einen andern lieb gehabt, der war nicht ihres Standes.« - Allein in diesem kleinen Satz ist wie in einer alten Glaskugel vieles gebündelt: der Inhalt der Novelle, die tiefe Trauer, der Rhythmus und wunderbare Klang der Sprache. Theodor Storm soll an der erstmals 1877 erschienenen Novelle für weitere Ausgaben Korrekturen vorgenommen haben. Ein Verleger hatte ihn darauf hingewiesen. dass die Prosa an einigen Stellen »in Versrhythmen verfalle.«

Glücklicherweise finde ich, wenn ich jetzt »Aquis submersus« wieder lese, noch immer darin viele schöne Lyrismen. Wer lässt uns solches jetzt noch miterleben: »Es war aber eine laue Juninacht, von den dunkelen Feldern erhob sich der Ruch der Wiesenblumen ... in Luft und Laub schwebte das kleine Nachtgeziefer ... droben aber an der blauschwarzen Himmelsglocke über mir strahlte im Südost das Sternbild des Schwanes in seiner unberührten Herrlichkeit. Also ritt ich am Waldesrande hin, die Augen fast verwirret von den grünlichen Johannesfünkchen, die mit ihren spielerischen Lichtern mich umflogen ... « Manche solcher Wege geht oder reitet der junge Maler Johannes, mal an Feldrain und Heide vorbei, mal am glitzernden, trügerischen Wattenmeer entlang. Diese Wege sind Spiegel des Geschehens.

»Aquis submersus« ist wie ein wertvolles Bild, alte Gemälde sind Schlüssel der Novelle. Doch bevor wir sie betrachten, sei noch einiges erinnert. Es waren eher nüchterne Jahre, als ich fünfzehnjährig »Aquis submersus« unter Tränen erstmals las. Solche romantischen Liebesgeschichten las man nicht. Aber mein alter Deutschlehrer gab uns, den Abiturienten, später am letzten Schultag die Novelle mit auf den Weg. Thomas Mann war wohl sein Bürge: »Der Storm’sche Laut hat recht kümmerlich fortgeklungen in deutscher Dichtung oder was dafür gehalten wurde ... Von ihm, von seinem ›Nun sei mir heimlich zart und lieb‹ ist viel Läppisches hergekommen, viel Bürgerwonne und Goldschnittgemüt ... das doch bei ihm etwas ganz, ganz anderes war ... Er ist ein Meister, er bleibt.«

Theodor Storm hat der Geschichte, die sich in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg zuträgt, eine doppelte Rahmenhandlung gegeben. Das bedeutet Distanz - nicht nur zwischen dem 19. und dem 17. Jahrhundert, sondern auch die zum Leser, dem so Raum zur Betrachtung gegeben wird. Der Inhalt kann hier nur verkürzt wiedergegeben werden: Eines Tages entdeckt der Erzähler in einer alten Dorfkirche nebeneinander zwei sehr unterschiedliche Gemälde aus dem Jahre 1666, offensichtlich aber von einer Hand gemalt. Das eine Bild zeigt das Porträt eines finsteren, »schwarzhaarigen Mannes im Priesterkragen«, das andere einen blassen, schönen Knaben mit einer Lilie in der Hand. Auf dem Rahmen dieses Bildes stehen die Buchstaben »C.P.A.S.« Berichtet wird, der Prediger sei der Vater des toten Kindes gewesen. Auch sollen die beiden letzten Buchstaben als Abkürzung für »aquis submersus«, also »in den Fluten versunken«, auf Ertrinken als Todesursache des Kindes deuten. Angesichts des düster dreinschauenden Priesters erwägt der Erzähler, ob »C.P.« nicht »culpa patris«, »durch Schuld des Vaters«, heißen könnte.

Da geraten ihm durch Zufall wenig später in der nahen Stadt alte Pergamente in die Hände, und die verschlingt er geradezu: »So war ich denn wieder daheim in unserem Holstenlande ... Anno 1661.« Der junge Johannes hat die Malkunst in den Niederlanden erlernt und kommt zurück, um seinen großzügigen Gönner Herzog Gerhardus aufzusuchen. Aber der Herzog ist gerade gestorben. In großer Trauer findet er dessen Tochter Katharina. Seine einstige Gespielin ist indessen zu einer wunderschönen jungen Frau geworden. Das Sagen auf dem Schloss hat jetzt Junker Wulf. Der will sie gegen ihren Willen mit Johannes’ altem Widersacher Kurt von der Risch verheiraten. Die beiden Männer führen ein ausschweifendes Leben. Wulf beauftragt Johannes, vor der Hochzeit noch ein Bild von Katharina zu malen. Es kommt, was kommen muss. Bei der Rauferei in einem Wirtshaus kann Johannes eines Tages nur mit Mühe den beiden Junkern und den zwei Höllenhunden Wulfs entkommen. Der einzig sichere Ort, den er über eine Efeuranke erklettert, ist Kathrinas Schlafgemach. Hier machen wir eine Zäsur. Wohl selten ist eine Liebe so zart und so sparsam geschildert worden.

Die gemeinsame Flucht der Liebenden gelingt nicht. Lange weilt Johannes in der Fremde, dann lässt er sich in einer kleinen norddeutschen Stadt nieder. Da erhält er eines Tages den Auftrag, das Porträt eines Priesters zu malen. Oft, wenn er nun malend in dessen Pfarrei weilt, hat dieser düster blickende Mann einen bezaubernden Knaben bei sich, den er offensichtlich sehr liebt. Nur die Frau sieht er nie. Und dann passiert das Schreckliche. Ein einziges Mal begegnen sich Johannes und Katharina wieder, ein einziges Mal umarmen sie sich, und da ertrinkt ihr gemeinsames Kind - cupla patris, durch die Schuld des Vaters. Dem toten Knaben gibt der Maler eine Lilie in die Hand.

Die Bedeutung eines Ereignisses ziemlich am Schluss wird mir erst jetzt beim Wiederlesen bewusst: Während sich die Liebenden zum letzten Mal begegnen, findet in der Stadt, aus der Johannes gegen den neugierigen Menschenstrom geflüchtet ist, eine Hexenverbrennung statt. Freunde Theodor Storms, so kann man lesen, wollten ihn dazu bewegen, die grausige Verbrennung einer unter der Tortur schon gestorbenen Frau aus der Novelle herauszunehmen. Der Dichter beließ sie darin - zu recht! Und das hat ja ganz direkt mit »Culpa patris« zu tun, die die Worte »Vater unser« und »Vergib uns unsere Schuld« assoziieren. Die Frage des Schuldigwerdens geht über Kritik an Junker- oder Bürgermoral weit hinaus.

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