Krieg unter falscher Flagge
Kampf um Dscharabulus: Geostrategisch wichtig - für die Türkei und für syrische Kurden
Allein der Zeitpunkt der türkischen Offensive auf die nordsyrische Stadt Dscharabulus macht deutlich, worauf die türkische Regierung abzielt. Dscharabulus wurde 2013 vom »Islamischen Staat« (IS) erobert und wird seitdem von der Terrormiliz kontrolliert. Dies hatte zu keiner militärischen Reaktion seitens der Türkei geführt. Die Lage jetzt ist eine andere. Kurdische Kräfte haben weite Gebiete in Nordsyrien unter ihre Kontrolle gebracht und stehen kurz davor, Dscharabulus ebenfalls von der IS-Herrschaft zu befreien. Mit der jetzigen Militäroffensive versucht die türkische Regierung, den kurdischen Kräften zuvorzukommen.
Wer die Stadt Dscharabulus kontrolliert, ist sowohl für syrische Kurden als auch für die Türkei geopolitisch von großer Bedeutung. Östlich und westlich der Stadt liegen die Teilgebiete der kurdisch dominierten Autonomieregion Rojava, die durch eine kurdische Kontrolle von Dscharabulus vereinigt würden. Die Konsolidierung und Vergrößerung von Rojava zu verhindern, ist eines der zentralen Ziele der türkischen Syrienpolitik. Zudem braucht die Türkei Dscharabulus als Stützpunkt, um weiterhin ihr konforme Milizen und bewaffnete Gruppen in Syrien unterstützen zu können. Dies wurde durch die kurdischen Offensiven in anderen Teilen von Nordsyrien bereits erschwert. Dscharabulus stellt inzwischen einen der letzten Grenzübergänge dar, über den Geld, Kämpfer und Waffen aus der Türkei zu syrischen bewaffneten Rebellengruppen gelangen können.
Äußerungen der türkischen Regierung unterstützen die These, dass die Militäroffensive auf Dscharabulus nur scheinbar ein Beitrag zum Anti-IS-Kampf ist. Der türkische Innenminister Efkan Ala erklärte, die Offensive diene dazu, die »Gefahren seitens des IS und anderer terroristischer Organisationen« abzuwehren. Seit langem bereits bezeichnet die Türkei die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) sowie deren bewaffnete Formationen, die Volksverteidigungseinheiten, als terroristische Organisationen. Um alle Unklarheiten zu beseitigen, wurde Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kürzlich noch deutlicher: Die Militäroperation richte sich gegen die »Terrororganisationen Daesh und PYD«. Daesh ist die arabische Abkürzung für IS.
Darüber hinaus erklärten militärnahe Quellen aus der Türkei gegenüber dem Sender CNN Türk, dass die Offensive nicht nur auf Dscharabulus abzielt, sondern auf die gesamten Gebiete zwischen den Rojava-Kantonen Afrin und Kobane. Dies wiederum lässt sich nicht mit Anti-IS-Kampf erklären, sondern aus dem Wunsch heraus, einen Zusammenschluss der Rojava-Teilgebiete zu verhindern.
Die kurdischen Kräfte in Rojava hatten bereits in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass sie einen türkischen Einmarsch in Nordsyrien als einen Angriff auf sich und damit als Kriegserklärung sehen werden. Insofern ist es nicht überraschend, dass Salih Muslim, der Ko-Vorsitzende der PYD, ankündigte, die türkische Armee so bekämpfen und besiegen zu wollen wie zuvor den IS.
Entscheidend für die weitere Entwicklung wird die Haltung der USA sein, die einerseits im Anti-IS-Kampf mit den kurdischen Kräften kooperieren und andererseits mit der Türkei nicht zuletzt innerhalb der NATO verbündet sind. Der sich abzeichnende Krieg zwischen den kurdischen Kräften und der türkischen Armee in Nordsyrien wird von den USA eine Entscheidung verlangen. Es ist zu befürchten, dass sie auf Kosten der kurdischen Kräfte gehen wird.
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