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Heute auch mit Heizung

Das Kino Eiszeit in Kreuzberg hat eine bewegte Geschichte und wurde nun aufwendig um- und ausgebaut

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Moment ist das »Eiszeit« eine Baustelle. Das heißt, das eigentliche Kino ist fertig und seit dem 30. Juni wiedereröffnet. Aber rundherum herrscht noch rege Aktivität, Bauschutt überall, Arbeiter wuchten Stangen durch die Einfahrt und eine eingezäunte Materialablage versperrt die Sicht auf den Eingang zum Filmtheater selbst. Was bei Neuverfilmungen heutzutage »Reboot« heißt, nennt man beim »Eiszeit«, diesem Kino mit aufregender und sogar skandalträchtiger Geschichte, wohl Neustart.

Nach anderthalbjähriger Ruhepause ist das neueste (weil aufwändig neu gebaute) der alten Kreuzberger Kiezkinos aus dem ersten Stock des zweiten Hinterhofs ins Vorderhaus im Parterre umgezogen. Seit Anfang der 80er Jahre gibt es das »Eiszeit«. In einem besetzten Haus in der Schöneberger Blumenthalstraße gegründet, präsentierte es zweimal pro Woche Untergrundfilme. Nach der Räumung des Hauses 1983 fand das Kino Unterschlupf im damaligen »Frontkino« in der Waldemarstraße, bevor es 1985 an seine heutige Adresse in der Zeughofstraße 20 zog und sich dort in den Räumen einer ehemaligen Klavierfabrik niederließ.

Bald machte das Kino durch seine anarchische Attitüde von sich reden und bot nun täglich Experimentalfilme, Festivals oder Performancekunst. 1986 protestierten radikale Feministinnen gegen die Vorführung des Sex- und Gewaltfilms »Fingered«: Sie schlugen den 16-mm-Projektor kaputt, zerhackten den Film und nahmen die Tageskasse gleich mit. Ein Neustart 1995 erweiterte das Hofkino um einen Saal. Doch das »Eiszeit« blieb sich mit Genre, türkischem Kino oder Politdokus treu, auch wenn es wirtschaftlich durch Konkurrenz und Heimkino bergab ging. 2014 schließlich kaufte ein Münchner Investor das Haus. Sanierungen wurden beschlossen und das »Eiszeit« als wichtiges Kulturgut erhalten, nicht zuletzt auf Betreiben des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg.

Nun wird es von Burkhard Voiges - auch Geschäftsführer des Hackesche Höfe Filmtheaters - und Rainer Krisp betrieben, der in Hamburg das Programmkino 3001 leitete. Das neue »Eiszeit« erstrahlt in alternativem Schick, einem ästhetischen Stil, in dem aber unverputzte Wände und sichtbare Strom- und Heizungskabel auf Transparenz und Funktionalität verweisen. Es riecht immer noch etwas nach Farbe, wenn man den Eingangsbereich mit Tresen und Tischen betritt. Hier wird nun ein Restaurant betrieben und auf dem Speiseplan, erzählt Kinoleiterin Frances Hill, steht gesunde und saisonal orientierte internationale Küche, für vor oder nach dem Kinobesuch.

Erfreulicherweise ist das vollständig digital operierende Kino nun auch barrierefrei. Mit dem Fahrstuhl oder per Treppe geht es nach unten zu Saal 2 (49 Plätze) und Saal 3 (40 Plätze), die mit großer Leinwand und erlesener Beleuchtung punkten. Eine echte Erneuerung ist die Bestuhlung in dem zu ebener Erde erreichbaren Saal 1 (90 Plätze) und in Saal 3: breite Holzsessel, deren Polster zu zwei Stunden Kino einladen ohne dabei zum Schlafen zu verleiten.

Programmatisch bietet das Kino Independent und Arthouse, zeigt aber - ganz in der historischen Tradition des Hauses - jeden Tag um 21:45 Uhr Genrefilme. Donnerstags etwa läuft Sci-Fi oder sonnabends Thriller & Crime. Genrebezeichnungen erfolgten absichtlich auf Englisch, erklärt Hill, weil das »Eiszeit« auch seine internationalen Gäste halten möchte und Filme im Original mit Untertiteln spielt. Um das Kino als Erlebnis- und Begegnungsort zu etablieren, setzen seine Macher auch verstärkt auf Events.

Das sind etwa Sonderveranstaltungen, bei denen auch unbekanntere Filmemacher ihre Werke dem Publikum vorstellen. Danach kann in der Raucher- und Cocktailbar weiterdiskutiert und gefeiert werden, ohne dass Raucher draußen gegen den Lärmschutz verstoßen. Ein einladender Ort ist die Bar allemal: Auf roter Wand prangt ein riesiges Plakat von Quentin Tarantinos »Oscar«-prämiertem Kriegsdrama »Inglourious Basterds«, während eingerahmte Original-Titelblätter vom »Filmspiegel« oder neckische Magazinseiten von Filmstars als Reklameträger die Kinoaffinität des Ortes unterstreichen.

Und wer sich gewundert hat, woher der Name Eiszeit stammt: Das besetzte Haus in Schöneberg hatte damals keine Heizung, sodass man sich mit Decken und Glühwein behelfen musste. Frieren wird man im jetzigen »Eiszeit« nicht, und ein erfolgreicher Neustart nach den durch Fußball-EM und Olympia durchwachsenen Sommer-Besucherzahlen sei dem neuen alten Kreuzberger Kino gegönnt.

Zeughofstr. 20, Kreuzberg; Tel.: 030-611 60 16; www.eiszeit.berlin; Eintrittspreise: Mo: 6 €; Di, Mi, Do: 7,50 €; Fr, Sa, So: 8,50 €; Überlängenzuschläge von 0,50 bis 2 €

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