Türkei schickt Panzer nach Dscharabulus

US-Vizepräsident Biden besucht Ankara und sichert Unterstützung zu / Berlin schließt sich an

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.

Der US-Vizepräsident Joe Biden hatte sich bei seinem gegenwärtigen Türkei-Besuch auf eine schwierige Mission eingestellt: türkische Vorwürfe nach dem Putschversuch, Streit um Gülen, Differenzen in der Kurdenpolitik. Dazu jammerte man im Regierungspalast von Ankara ganz allgemein über ausbleibende Staatsgäste. Trotzdem geriet Bidens Besuch unversehens zur Nebensache. Genau zum Beginn der Visite am Mittwoch überschritt die türkische Armee mit Panzern die Grenze zu Syrien und griff Dscharabulus an.

Kann so etwas unabgestimmt mit der NATO, also den USA, geschehen, zumal Syrien ein Land ist, in dem kriegführende russische Streitkräfte agieren? Man möchte daran nicht glauben, schließlich funktionierten selbst im Kalten Krieg vor allem die ungeschriebenen Absprachen im Interesse allgemeiner Sicherheit. Zum Politikstil des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan würde ein Alleingang allerdings passen.

Man wird von türkischer Seite sogar darauf hingewiesen, dass der Zeitpunkt des Überschreitens der syrischen Grenze bewusst gewählt war. Ganz im Sinne erdoganschen großosmanischen Denkens griff man am 24. August an. An jenem Tage im Jahr 1516 errang ganz in der Nähe Sultan Selim, der Gestrenge, einen glorreichen Sieg über die Mameluken.

Biden brach Spekulationen darüber, er könnte nichts von dem Angriff gewusst haben, die Spitze ab, indem er einen Sprecher noch vor der Landung seiner Maschine in Ankara erklären ließ, die US-Streitkräfte unterstützten die türkische Armeeoffensive in Nordsyrien, und zwar mit ihrer Luftwaffe und Militärberatern.

Auch Berlin hat, wie zu erfahren war, »Verständnis« für die türkische Militäroffensive gegen die vom Islamischen Staat (IS) gehaltene Stadt Dscharabulus in Syrien. Damit handele Ankara »im Einklang mit den Zielen und Absichten« der Anti-IS-Koalition, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, am Mittwoch.

Auf die Frage, ob sich der Angriff eventuell auch gegen Kurden richten könnte, die gegen den IS kämpfen, sagte Schäfer laut dpa: »Es ist offensichtlich, dass eines der wichtigen Interessen der Türkei darin besteht, dass auf der anderen Seite der türkischen Grenze zu Syrien kein Gebiet entsteht, das unter totaler Kontrolle der Kurden steht.« Auch die USA befinden sich da in einer Zwickmühle, unterstützten sie doch bisher wie Deutschland die syrischen Kurden und tun es noch.

Noch mehr bringt Biden aber Erdogans ultimative Forderung nach der Auslieferung des Predigers und angeblichen Oberputschisten Fethullah Gülen in die Bredouille. Schließlich existiert ein Auslieferungsabkommen der USA mit der Türkei, das sie nicht einfach ignorieren können. Biden war genötigt zu sagen, dass man »sorgfältig prüft«. Seite 7

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