Schöner als der Mond
Zum Start der neuen Bundesligasaison
Selten genug, dass sich der Mensch über einen Anpfiff freut. Am Freitag beginnt die Fußball-Bundesligasaison 2016/17. Wie schön, dass es leichtfertige Religionen gibt. Fußball ist eine. Leichtfertigkeit und Religion? Die Menschheit verlor nur immer Zeit mit quälenden Religionen. Wir wissen ja: Selbst der Satz, die Welt sei veränderbar, wollte zur marxistischen Religion werden. Aber: Die Welt ist veränderbar! Fußball ist die Religion, die nicht weiter hinaufreicht, als ein Ball fliegen kann. Apostel sind nicht gefragt. Der hin- und herfliegende Ball ist zudem so attraktiv, dass für ihn überhaupt nicht missioniert werden muss. »Er steigt und schwebt und gleitet wie gewohnt:/ dort fliegt er, oben, schöner als der Mond.« Ror Wolf.
Die Welt ist hart geworden. Ein einziger Satz sagt alles: »Auch mit 31 Jahren kann man noch schmerzfrei Fußball spielen.« Bastian Schweinsteiger. Da wird etwas verkündet, das man gar nicht mehr für möglich hält. Die Welt rückt zusammen? Ja, Nahkampf. Wohin man tritt, tut es weh - einem anderen. In den Hochsicherheitstrakten der Stressgesellschaft gibt es keine Tiefe des Raums mehr.
Die neue Saison. Bayern mit Ancelotti, Wolfsburg mit Gomez, der den Türken - ehrenwert! - den Rücken kehrte. Und die »Roten Bullen« Leipzigs mit Olympia-Silberdeutschen: Selke und Klostermann. Und Dortmund mit Ex-Dribbelkünstler Götze, der mir immer leid tut wie der gute Junge, der es allen recht tun will und nur tiefer ins Ungemach rutscht. Immerhin fand er zu einer pfiffig fatalistischen Selbsterklärung: »Mal ist man der Hund, mal ist man der Baum.«
Es wäre erbaulich, erführe in dieser Saison der Satz, wonach Schönheit im Spiel doch nur ein Mittel zum Zwecke des Siegens sei, auch mal seine Umkehrung: Der Zweck des Gewinnens möge zum Mittel eines schönen Spiels werden. Aber klar: Jeder will seinem Gegner, wie überall, den Spielfluss zerstören. Und dabei noch die Ästhetik wahren? Schwer. Fast so schwer wie Parlamentarismus, wo eine Partei auf die Lüge der anderen Partei ja auch nicht mit der Wahrheit, sondern ebenfalls nur wieder mit einer Halbwahrheit antwortet.
Fußball ist Kapitalkonzentration. So ein entlarvendes Aufklärungswort muss her. So, abgehakt, Kritikpflicht absolviert. Jetzt her mit Spaß! Der Beste soll gewinnen? Nein, sagen die Fans: Unsere! Richtig - jeder schüre das Feuer für »seine« Mannschaft. (Hoffentlich dürfen, in Zeiten fortschreitender Sprachfolter, auch Fußballerinnen noch lange als Mannschaft bezeichnet werden). Der weltoffene Transfer von Talent und Knowhow, das ist die moderne Berufswelt, aber Klubs bleiben auch Schulen des Nationalteams - mit dessen Auftritten noch eine ganze Weile alte Grenzen gespielt werden. Nach wie vor: Fußball kann Nationen helfen, sich zu mögen. Eine Kaltland-Manie verdirbt unverkrampften Leuten Deutschland nicht.
Fußball, der Geldsport, sei ein Unsummenspiel? Ja. Na und? Vor allem ist er ein Nullsummenspiel. Alle jagen dem Ball nach, letztlich aber nimmt ihn der mit vom Feld, der ihn auch hereinbrachte: der Schiedsrichter. Wie es Botho Strauß vom Theater sagte: »Am Ende ist die Bühne leer wie am Anfang.« Bis zum nächsten Anpfiff.
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