Mischmasch beleidigt die Sinne
Beim Festival »Young Euro Classic« lässt sich diesmal wenig musikalischer Gehalt finden
Das Festival existiert seit 2000. Ein viele Gäste anziehendes, sommerliches Unternehmen, groß aufgemacht, das Entwicklung verbuchen kann. Unterdes treffen sich über die Jahre im Konzerthaus Berlin klassisch geprägte Jugendorchester aus aller Welt. Kein Kontinent ist ausgelassen. Die »Zukunftsfähigkeit der klassischen Musik« stelle sich in jeder Saison von »Young Euro Classics« neu unter Beweis, so Festivalleiterin Gabriele Minz. Bloß wohin führt der Gesang, breitet sich das Chaos immer mehr aus?
Faktisch schnürt »Europa« sich immer mehr ein und vollzieht alle Schandtaten mit, dazu geeignet, Nationen und Gruppen gegeneinander aufzuwiegeln, ganze Staaten zu zertrümmern und Feindbilder aufzubauen, die sich um »allen verbindenden Geist« einen Dreck scheren. Feindbilder, das erfahren schon die Schulkinder, sind gefährlich. Sie befallen Freundschaften, zerreißen ganze Familien. Sie umkurven nicht die edle Kultur, sondern führen ins Herz scheinbar neutraler Kunstprozesse.
Jeder Abend bei Young Euro Classic hat seinen Paten, Leute aus Politik, Medien, Kultur, Kunst, Wissenschaft, diverse »Promis« darunter. Den mexikanischen Abend mit dem Bundesjugendorchester beschirmte Dr. Ralf Kleindick, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, ein Langweiler andauernd mit Freudentönen auf den Lippen. Der täuschte seine Öffentlichkeit nicht, sondern sagte, dass sein Ministerium jenes renommierte, allseits bewunderte Bundesjugendorchester besitze, so als würde je ein Orchester irgend jemandem gehören.
Jetzt aber schnell zu den Konzerten, der Substanz der Tage. Wie different die Abende doch sein können. Von zweien sei die Rede. Im ersten musizierte das Bundesjugendorchester bekannte Ouvertüren von Beethoven im Wechsel mit Stücken mexikanischer Komponisten. Die Wiedergabe jener mit wuchtigen Akkorden anhebenden und leise in Pizz.-Tönen endenden Coriolan-Ouvertüre c-moll verriet keine besonderen Akzente. Unter der mexikanischen Dirigentin Alondra de la Parra geriet sie eher durchschnittlich. Jugendlicher Musizier-Elan wollte sich nicht so recht übertragen. Ähnlich die Aufführung der Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 C-Dur. Mit Enrico Chapelas Cello-Konzert »Magnetar« von 2011 kam eine Deutsche Erstaufführung.
Kein gewöhnliches Cello spielte der Solist Johannes Moser, einst selber Mitglied des Orchesters, er traktierte ein E-Cello - bis zur Ekstase. Es weint und ächzt ohne Grund, schiebt sich mal vor, mal hinter das Orchester, schraubt sich mit ihm hinauf und hinunter, ja es kann sich klanglich-elektronisch auch ganz selbstständig machen. Wer einen Wurf des 42-Jährigen erwartete, wurde enttäuscht. Das dreisätzige halbstündige Stück hat einen völlig überdehnten Mittelsatz. Die Disproportion ist Prinzip. Keine ausgehörte, durchgeführte Musik erklang, sondern reine Effektmusik mit viel Klamauk und Showkaskaden.
So etwas wie musikalischen Gehalt aufzufinden, versagt sich dem Ohre. Das Stück will nichts als gefallen und scheut brachiale Mittel nicht. Die Streicher müssen stellenweise die Hände reiben, damit ein bisschen Wind ist, und mit den Füssen stampfen, als würde nicht schon genug geklopft. Clap Hands - Rhythmik äfft dazwischen. Dann über weite Strecken Swingklänge. Es darf getanzt werden, suggeriert das Geschehen, dessen schäbige Fröhlichkeit dem entwickelten Ohre bitter aufstieß. Besonders verdrießlich stimmte jene Nostalgie, die sich aus mexikanischen Folksoßentöpfen ergoss. Frida Kahlo hätte der Saal verlassen, wäre ihr derlei begegnet. Mischmasch beleidigt die Sinne die ganze Zeit über. Donnernd der Schluss. Ein Flop, vom Publikum gefeiert. Altmeister Carlos Chavez’ rhythmische »Pferdestärken-Suite«, sie kam zuletzt, gut durchdirigiert und gespielt, entschädigte ein bisschen.
Bemerkenswert war der Auftritt des Symphonieorchesters der Nationalen Universität der Künste Kasachstans mit Dirigent Aidra Torybaev und der Geigerin Aiman Mussakhajayva. Sie führte das solistisch anspruchsvolle, traditionsgesättigte Violinkonzert d-moll von Aram Chatschaturian auf. Die Aufführung des Uni-Orchester von Schuberts 2. Sinfonie B-Dur ließ nichts zu wünschen übrig. Vor allem die Ecksätze kamen brillant. Zudem spielten sie drei sehr unterschiedlich geratene Uraufführungen, Auftragswerke des Festivals. »Tarlan« heißt das eine, versehen mit dem alten Gattungsnamen »Symphonische Dichtung«, das die Komponistin Aktoty Raimkulova schuf, ein gut geformtes, abwechslungsreiches Zehn-Minuten-Opus. Das zweite, benannt mit »God’s Dwelling«, Symphonisches Bild für großes Orchester, schien unfertig, namentlich in den Verhältnissen der Orchestergruppen.
Ganz auf Folklore abgestimmt die dritte Neuheit: »Tiep«. Sie gebraucht das Volksinstrument Kobyz, die kasachische Kurzhalslaute. Sie hat mehrere Saiten und einen nasalen, harten, holzbläserartigen Klang. Drei Solisten, zwei Männer und eine Frau in weißer Volkstracht, spielten ihren klanglich reizvollen Parts fast ausschließlich mit dem Orchester.
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