Verwundbar, aber nicht ausgeliefert

Weltrisikobericht erneuert die Erkenntnis, dass die Folgen von Naturkatastrophen beeinflussbar sind

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

Den Menschen in Deutschland setzen Krisen arg zu, wenn man dem veröffentlichten Wort glaubt. Flüchtlingskrise, Finanzkrise, von den niedrig bewerteten VW-Aktien ganz zu schweigen. Die Gefahr, in eine Katastrophe zu geraten, wie sie im Weltrisikobericht betrachtet werden, ist aber relativ gering. Naturkatastrophen wie soeben das Erdbeben in Italien erreichen uns in aller Regel als Bilder über elektronische Medien.

Auch das Konzept der Bundesregierung über die Entwicklung des Zivilschutzes erscheint eher als lässliche Prophylaxe. Doch immerhin ist diese Teil der Begründung, weshalb Deutschland im aktuellen Weltrisikobericht auf dem einigermaßen beruhigenden Platz 147 unter 171 untersuchten Ländern rangiert. Weil eine entwickelte Infrastruktur ebenso Einfluss auf den Gefährdungsgrad von Naturkatastrophen hat wie die Qualität des öffentlichen Gesundheitssystems, die Umweltsituation und das Bildungsniveau eines Landes.

Dies jedenfalls ist Ergebnis des Weltrisikoberichts, der jährlich vom Bündnis Entwicklung Hilft vorgelegt wird. Mitglieder sind die Hilfsorganisationen Brot für die Welt, Christoffel-Blindenmission, Kindernothilfe, medico international, Misereor, terre des hommes und Welthungerhilfe. Einem besonders hohen Katastrophenrisiko sind - bedingt durch zunächst natürliche Umstände - Staaten in Ozeanien, Südostasien, Zentralamerika und im südlichen Sahel ausgesetzt. Der Grad der Verwundbarkeit durch Naturkatastrophen ist jedoch darüber hinaus von gesellschaftlichen Bedingungen beeinflusst. Der Bericht 2016 widmet sich besonders ihrer Abhängigkeit von »Logistik und Infrastruktur«. Gerade die letzten Kilometer seien für Hilfsmannschaften oft schier unüberwindlich. Bei Erdbeben, Stürmen oder Überflutungen könnten zerstörte Straßen und Brücken sowie ein fehlendes Wegenetz den Transport von Hilfsmitteln erheblich erschweren.

Die international beobachteten Katastrophen haben seit 2012 eine rückläufige Tendenz. In den Jahren zuvor hatten sie stetig zugenommen - an Häufigkeit und dem Grad der Zerstörungen. Doch auch die Zahlen für das Jahr 2015 zeigen, dass die Gefahr nicht vorüber ist; überdies kann sich die Tendenz auch wieder umkehren. 346 gemeldete Katastrophen, mehr als 22 000 Tote, nahezu 100 Millionen Betroffene und ökonomische Schäden in Höhe von circa 66,5 Milliarden US-Dollar werden von den Vereinten Nationen verzeichnet. Auf Platz eins des Weltrisikoindex liegt wie bereits im Vorjahr der Inselstaat Vanuatu im Südpazifik.

Nach extremen Naturereignissen oder bei langanhaltenden Konflikten können die UN-Organisationen und einige internationale Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe auf die sechs internationalen »UN Humanitarian Response Depots« zurückgreifen, die vom Welternährungsprogramm verwaltet werden. Diese Depots sind so gelegen, dass die Hilfsgüter innerhalb von 24 bis 48 Stunden in alle Regionen der Welt gebracht werden können. Trotz dieser beeindruckenden logistischen Fähigkeiten bleibt es ein Problem, dass viele Länder besonders durch mangelhafte Nahrungsversorgung gefährdet sind, die auch unter normalen Umständen nicht ausreicht.

Gesellschaftliche Umstände, wie die Ernährungssituation, die medizinische Versorgung und die Regierungsführung würden zu einem großen Teil mit darüber entscheiden, ob aus einem Naturextrem eine Katastrophe wird, betonte Torsten Welle vom Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung an der Universität Stuttgart. Die Hochschule berechnete den Weltrisikoindex 2016.

Schon der Bericht des letzten Jahres hatte auf die Notwendigkeit einer weltweiten Ernährungssicherheit hingewiesen, um die Folgen extremer Naturereignisse zu mildern. Mit täglich insgesamt 5000 Kalorien für die Weltbevölkerung würden längst genügend Nahrungsmittel produziert, um weltweit den Bedarf von 1800 Kalorien pro Person zu decken.

Eine geringe Verwundbarkeit zeigt Australien. Seine hohe Exponiertheit für Gefährdungen durch Dürre, Erdbeben und Meeresspiegelanstieg mildere das Land durch ausgereifte sogenannte kritische Infrastruktur, heißt es im Bericht. Australien liegt auf Rang 121. Hingegen landet Japan trotz Vorsorge wegen seiner Gefährdung durch Erdbeben und Überschwemmungen auf Platz 17. Der wissenschaftliche Leiter des Berichts, Matthias Garschagen, forderte von der internationalen Gemeinschaft mehr Investitionen in den Aufbau und Ausbau kritischer Infrastruktur. Mit Agenturen

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