Schäbiger Umgang

Freitags Montag: Erhellender Blick hinter die Kulissen der ideologisierten Migrationsdebatte

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

»Aufmerksamkeitsschlacht in globalem Maßstab«, »Kybernetik der Erregung«, »publizistische Infektion« - wenn sich der Tübinger Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen wie vorige Woche in der »Zeit« mal wieder die digitale Boulevardisierung mitsamt ihrer brachialen Medienentwertung vorknöpft, hagelt es garantiert Bonmots zum Merken und Weiterverwenden. Aufregung ersetzt Substanz, so lautet seine unablässig geäußerte (und gut belegte) These. Längst findet sie als Reaktion aufs Netz auch im Fernsehen dauernde Beweiskraft. Während der fabelhafte Herr Böhmermann zum Beispiel im ZDF am unteren Rand der Wahrnehmbarkeit durch die Nacht entertaint, erzielt der sinistre Herr Maschmeyer beim Vox-Schleichwerben in der »Höhle der Löwen« absolute Rekordquoten.

Es ist ein Graus, der dadurch noch übertroffen wird, dass eine Idee aus dem Sauerland, doch endlich auch dort mal einen »Tatort«-Kommissar zu installieren, nicht einfach wegignoriert wird, sondern mit Adolf Winkelmann sogleich einen namhaften Regisseur findet, der diesen Mumpitz durchziehen würde. Bei so viel Redundanz bleibt nur noch der dringend nötige Hinweis an das ZDF, seine Zuschauer und etwaige Ethikräte, das derzeitige »Traumschiff« namens »Amadea« fahre wie ihre Vorgängerin »MS Deutschland« im realen Seeleben unter der Flagge des karibischen Steuerparadieses Bahamas, damit den Angestellten juristisch wasserdicht Hungerlöhne gezahlt werden, die nach deutschem Recht verboten wären.

Jenes Recht übrigens, das in einem anderen Fall schäbiger Behandlung Schutzbedürftiger, sagen wir es mal vorsichtig, auch hierzulande nicht so ganz vollumfänglich korrekt angewandt wird. Bei der Bearbeitung gut einer halben Million offener Asylanträge nämlich. Bis Ende 2016 will sie Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, erledigt sehen. Nur - wer genau macht das eigentlich? »Entscheider« wie Jochen Otten, der in seiner Trierer BA-Zweigstelle Fälle wie den des somalischen Flüchtlings Abdulahi Mohamed behandelt. »Entscheider« heißt auch eine ARD-Dokumentation, die heute um 22.45 Uhr einen erhellenden Blick hinter die Kulissen der ideologisierten Migrationsdebatte wirft.

Wenn dieser juvenile Sachbearbeiter aus Deutschlands ältester Stadt Kundengespräche mit Aktenzeichen und Kürzelkaskaden selbst für Eingeborene unverständlich macht, wenn sein Gegenüber als Objekt der Bürokratie spürt, dadurch womöglich wieder das Subjekt seines eigenen Lebens zu werden, wenn der BA-Chef mit Einstecktuch im Maßanzug zwischendurch die Notwendigkeit zügiger Erledigung anmahnt, wenn ein Rechtsanwalt währenddessen Untätigkeitsklagen gegen die Agentur anstrengt, wenn also endlich mal das ganze System hinter der »Flüchtlingskrise« umfassend durchleuchtet wird, dann würde vielleicht auch der gemeine Pegida-Marschierer verstehen, dass es hier um Menschen geht, nicht um Nummern.

Zu dumm, dass er die ARD für »Lügenpresse« hält und lieber der Aufmerksamkeitsschlacht im Internet lauscht.

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