Kunstnomaden im Sommerloch

Das Project Space Festival zieht am Mittwoch ein letztes Mal von einem Ort zum anderen

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Zentrum ist - natürlich - in Mitte. Mitten in Mitte, an der Nahtstelle zwischen den Bezirken Kreuzberg und Mitte und auch am ungefähren geografischen Mittelpunkt der 31 unterschiedlichen Standorte des Festivals, befindet sich der organisatorische Hauptsitz des Project Space Festivals Berlin. Der ist getreu dem Motto der Veranstaltung, die das Nomadische in der Kunstproduktion und Kunstpräsentation hervorheben will, ein Zelt. Ein Zelt auf einer Brache.

Auf einem Flecken schrundigen Grüns hinter dem Theaterhaus Mitte haben die Festival-Kuratoren Heiko Pfreundt und Marie-José Ourtilane ihr temporäres Büro installiert. Das Ganze ist so temporär und so nomadisch, dass nicht einmal sie anwesend sind. Einzig ein Hund bellt wild aus dem offenen Fenster eines zum Wohnsitz umgebauten Uralttransporters, der 20 Meter entfernt steht. Berlin kann auch in seiner gentrifizierten Mitte noch aussehen wie in den frühen 90er Jahren, zeigt das.

Die 90er Jahre haben sehr viel mit diesem Festival zu tun. Denn kurz nach dem Mauerfall blühte die Projektraumszene auf. Ladenlokale en masse gab es in den östlichen Innenstadtbezirken. Sie luden zum Wohnen und Party-Machen ein, zum Objekte-Bauen und Leinwände-Betränken sowie zum, meist wieder mit Partys verbundenen, Zeigen der frisch entstandenen Werke.

In den 90er Jahren war dies eine wilde Szene. In den Nullerjahren wurde sie ernster. Die Qualität der einzelnen Arbeiten und Konzepte wurde wichtiger, die Prozesse akademischer. Das Bewusstsein, eine bestimmte Arbeitsweise verteidigen zu müssen, die sich vom Konzept der Verkaufsgalerien unterschied, die zunehmend die Innenstadt eroberten, machte die Szene insgesamt auch politischer.

In der laufenden Dekade entdeckte die Politik die Projekträume. Im verzweifelten Versuch, die Quellen der künstlerischen Vitalität zu bewahren, wurde der mit 30 000 Euro dotierte Projektraum-Preis des Berliner Senats ausgeschrieben; immerhin 20 Projekträume konnten sich in diesem Jahr jeweils über diese Summe freuen. Das ist eine späte Würdigung, die die Verdrängung der Projektraumszene aus der Innenstadt aber nicht umkehren und die schlechte Politik des Immobilienausverkaufs nicht rückgängig machen kann.

Und wenn das - erstmals aus der City Tax geförderte - Festival jetzt das Temporäre, Nomadische und Ortlose zu Qualitätszeichen der Kunst erklärt, wirkt dies ähnlich zynisch wie einst der Slogan »arm, aber sexy«.

Innerhalb dieses paradoxen kuratorischen Rahmens gab es bemerkenswerte und weniger bemerkenswerte Momente. Auf einem von Laub und Dreck bedeckten Areal gleich neben der geschlossenen Neuen Nationalgalerie etwa kehrten die nach Berlin eingeladenen Betreiber des Kölner Projektraums Bruch & Dallas den Grundriss ihres Ladenlokals heraus - und sorgten so nicht nur für einen Kunstraumtransfer vom Rhein an die Spree, sondern auch für ein saubereres Stückchen Berlin.

Im Weddinger Projektraum Grüntaler9 verlagerte die Performancekünstlerin Johanna Gilje das Temporäre gleich ganz ins Wasser. Fast der gesamte Raum war zu einem flachen Wasserbecken umfunktioniert. Gummistiefel standen parat, damit sich Besucher selbst ins Becken begeben konnten. Manche machten Gebrauch davon. So sah man eine Frau ihr Haar rücklings im Wasser tränken - ein umgedrehter Aphroditen-Werdungsversuch. Gebrochen wurde das Bild freilich durch die gelben Badeenten, die rings um sie schwammen und mit Fragen und Kommentaren zum Wert und zur Lehrbarkeit der Performancekunst beschrieben waren. Um dieses Thema ging es dann auch am Tisch in einer Debatte zweier Künstlerinnen, von denen die eine - Achtung: Tabubruch! - den für die Füße vorgeschriebenen Gummistiefel als Hut auf dem Kopf trug.

Es war nur kaum jemand da, der von der Performance Notiz nahm. Anders als in den 90ern, als auch eher an Bier als an Bildern interessierte Burschen noch mit der Pulle in der Hand von Performance zu Performance pilgerten und sich ihren Reim auf die Sachen zu machen versuchten, saß das aktuelle Bierpublikum fest an den Straßentischen der umliegenden Lokale und scherte sich nicht um wie auch immer geartete künstlerische Versuche nebenan.

Gänzlich unberührt blieben auch die Angler am Nordhafen von der dort eindringenden Kunst. Die Kuratoren des selbst ortlos agierenden Projektraums Comedy Club hatten aufgerufen, Kunstwerke im Freien, mit Blick auf Wasser und Fernsehturm, zu präsentieren. Es kamen auch ein Dutzend Künstler und ein weiteres Dutzend Interessierte und besetzten den idyllischen Aussichtspunkt. Leider ließ die Qualität der meisten vorgezeigten Arbeiten zu wünschen übrig; sie wären wohl nicht einmal beim Partyschummerlicht der 90er Jahre vorzeigbar gewesen.

Seinen Abschluss findet das Project Space Festival allerdings mit einer soliden politischen Intervention. Im Kunsthaus KuLe und an der dortigen Fassadengalerie gehen ab diesem Mittwoch die Aktivisten von Afrotak TV den kolonialen Spuren in der deutschen Geschichte nach.

Noch bis zum 31.8., Infos zum Project Space Festival Berlin unter diesem Link: www.projectspacefestival-berlin.com

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