Rousseff nach Absetzung: »Wir werden zurückkommen«
Mitte-Linke-Politikerin kritisiert »parlamentarischen Putsch« / Arbeiterpartei warnt vor Comeback des Neoliberalismus
Berlin. Nach der umstrittenen Absetzung der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff durch den Senat hat der Nachfolger und bisherige Vizepräsident Michel Temer bei einer im Fernsehen übertragenen Kabinettssitzung eine »neue Ära« für das Land angekündigt. Die abgesetzte Mitte-Links-Politikerin Rousseff sagte, »das ist ein parlamentarischer Putsch, mit Hilfe einer juristischen Farce«. 61 Senatoren würden sie aus dem Amt drängen, obwohl sie 2014 von 54,5 Millionen Menschen wiedergewählt worden sei. Sie fügte hinzu: »Wir werden zurückkommen.« Ihr Anwalt José Eduardo Cardozo kündigte an, vor dem Obersten Gerichtshof Berufung gegen die Entscheidung des Senats einzulegen.
Die Arbeiterpartei warnt vor einem Comeback des Neoliberalismus. Temer will mit Privatisierungen und Kürzungen im Staatsapparat die neuntgrößte Volkswirtschaft aus der Krise führen. Das Renteneintrittsalter könnte heraufgesetzt und insbesondere die Sozialprogramme, die als Markenzeichen der PT gelten, werden Einschnitte erfahren. Um das Defizit in den Griff zu bekommen, ist eine Schuldenbremse geplant. Brasilien leidet unter der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Das Bruttoinlandsprodukt sank im vergangenen Jahr um 3,8 Prozent, die Arbeitslosenquote liegt bei gut elf Prozent. Temer hat angekündigt, die Staatsausgaben zu senken und umstrittene Arbeits- und Rentenreformen durchzusetzen. »Das Niveau der öffentlichen Ausgaben ist untragbar und ohne Reformen wird es keine Lösungen geben«, sagt der Ökonom und frühere Finanzstaatssekretär Carlos Kawall. »Nötig sind strukturelle Veränderungen. Wenn er diese nicht umsetzt, werden wir in eine noch tiefere Krise stürzen.«
Starke soziale Bewegungen und die Gewerkschaften kündigten bereits an, dass sie gegen ein Stutzen der Sozialpolitik mobil machen werden. Auch in der Außenpolitik ist bereits ein anderer Wind zu spüren. Während die PT auf regionale Integration und Süd-Süd-Kooperation setzte, steht der neue Außenminister José Serra von der rechten PSDB für eine enge Anbindung an die USA. Schon jetzt ist der gemeinsame südamerikanischen Markt Mercosur praktisch handlungsunfähig, da die neuen Regierungen in Argentinien und Brasilien eine Führungsrolle des sozialistischen Venezuelas zu verhindern suchen. Und der Sparzwang macht auch vor der Diplomatie nicht halt: Brasilianische Botschaften in mehreren afrikanischen Staaten sollen geschlossen werden.
Temer gilt als Mann der konservativen Eliten und hatte ein Kabinett gebildet, das nur aus weißen Männern bestand. Temer ist umstritten: Zum einen lasten Korruptionsvorwürfe auf ihm, zudem würde er bei Wahlen nur auf weniger als fünf Prozent kommen, hätte also keine Chance, über den normalen Weg an die Macht zu kommen. Aber er dürfte nach einem Urteil wegen illegaler Wahlkampfspenden ohnehin nicht antreten, ihm wurde für acht Jahre untersagt, bei Wahlen anzutreten. Er kann aber bis zum Ende der Amtszeit 2018 auch unpopuläre Maßnahmen durchsetzen. Eine Mehrheit der Brasilianer unterstützt laut Umfragen auch seine Amtsenthebung. Schon während der Olympischen Spiele kam es in Stadien immer wieder zu »Temer Raus«-Protesten.
Der Senat hatte am Mittwoch klar für die umstrittene Amtsenthebung von Präsidentin Rousseff gestimmt, die bereits seit Mai suspendiert war. Drei Stunden später leistete ihr früherer Vizepräsident und jetziger Erzfeind Temer den Amtseid als Präsident. Mit der Amtsübernahme durch den 75-jährigen Konservativen endeten 13 Jahre linker Regierung im größten Land Lateinamerikas. Unerwartet lehnte der Senat allerdings einen Antrag ab, Rousseff für acht Jahre jede politische Betätigung zu verbieten. Sie könnte also erneut für politische Ämter kandidieren. Agenturen/nd
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