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Dieter Klein über gespaltene Machteliten und eine offensive Transformationsstrategie
Die Zeiten einer relativ stabilen Entwicklung des globalisierten Kapitalismus sind vorbei. Der Motor der Akkumulation stottert, das Gesetz der ungleichen Entwicklung, das Lenin so hervorhob, wirkt mit ganzer Kraft. Die regionalen und innergesellschaftlichen Spaltungen nehmen zu. Die globale soziale und ökologische Krise ist unübersehbar. Demokratie sieht anders aus. Es kann von einer umfassenden oder organischen Krise gesprochen werden. Dies ist der Hintergrund, vor dem sich Dieter Klein der Frage zuwendet: »Werden unter dem Druck der ungelösten Probleme und unter dem Druck zivilgesellschaftlicher Akteure flexible Fraktionen des herrschenden Blocks Elemente einer sozial und ökologisch orientierten Transformation der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften hervorbringen oder mittragen können?«
Die letzte große organische Krise des globalen Kapitalismus umfasste die Jahre zwischen 1905 bis nach 1945. In ihr entstand das sozialistische Weltsystem, wie es sich nannte, prägten sich faschistische und nationalsozialistische, aber auch reformorientierte Gestalten des Kapitalismus aus. Eine weitere existenzbedrohende Krisensituation stellte das atomare Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion dar.
Dieter Klein hat in seinem neuen Buch »Gespaltene Machteliten« eine empirische Analyse des Verhaltens der herrschenden Kreise der USA in diesen beiden Weichenstellungen zugewandt, um Schlüsse für die Strategie linker Kräfte in der Gegenwart zu ziehen. Es ist spannend, im vorgelegten Buch zu verfolgen, wie die Einheit der herrschenden Klasse in der Großen Krise der späten 1920er Jahre sich auflöste, wie sich gegensätzliche Blöcke bildeten. Dabei spielten deutlich unterschiedliche Interessen der Großkonzerne eine Rolle. Eine Reihe von ihnen sah in sozialstaatlicher Regulierung und steigender Massenkaufkraft, im Ausbau der materiellen wie sozialen Infrastruktur und in einer Kooperation mit den Gewerkschaften Chancen für die Erschließung neuer Märkte und die technologische Erneuerung. Dies galt gerade für kapitalintensive Sektoren. Aber auch kulturelle Prägungen wirkten sich aus. Die autoritären Tyrannen wie Henry Ford bekämpften den New Deal mit fast allen Mitteln. Seine Sympathie mit dem Faschismus war notorisch.
Der entscheidende Faktor für eine Weichenstellung hin zum New Deal aber war, dass vor dem Hintergrund des fast vollständigen Verlusts der Legitimität der kapitalistischen Ordnung, des Absturzes der Wirtschaft, der Abhängigkeit der Konzerne von einer staatlichen Stabilisierung und vor allem aber einer militanten Arbeiterbewegung, dem Aufschwung linker Kräfte der Kandidat der Demokratischen Partei, Franklin D. Roosevelt, auf einen deutlichen Konfrontationskurs zur bisherigen Politik ging und vier Präsidentschaftswahlen gewann. Selbst Teil der herrschenden Klasse, so Dieter Klein, wollte er »das kapitalistische System bewahren, aber nicht so, wie es war«. Er griff die Kritik von unten auf und kanalisierte sie durch das Projekt eines umfassenden Umbaus des US-amerikanischen Kapitalismus auf der Grundlage eines neuen »großen Sozialvertrages«.
Diese Mischung aus kontrollierter Konfrontation mit Teilen des herrschenden Blocks, Aufbau von breiten Bündnissen, Stärkung der Gewerkschaften und vieler demokratischer Institutionen, Bereitschaft herrschender Gruppen, viele der Glaubenssätze des Marktradikalismus und einer »gesunden ausgeglichenen Haushaltspolitik« über Bord zu werfen sowie die große Vision einer Gesellschaft, in der die sozialen Menschenrechte durchgesetzt werden und so die USA an dieser Grenze (einer neuen »frontier«) verändert zu erfinden, waren die Voraussetzungen für den Wandel der USA. Er blieb halbherzig, Stückwerk. Vieles an seinem Erfolg ist den besonderen Bedingungen des Zweiten Weltkriegs zu verdanken. Er wurde danach konservativ gewendet. Der erneute Aufbruch in den 1960er Jahren endete in einer neoliberalen Politik unter Ronald Reagan.
Aber gemessen an der katastrophalen Entwicklung in Europa jener Zeit, im Vergleich zu den Versuchen des Weiter-So heute sind die Errungenschaften des New Deal bemerkenswert. Und es lohnt sich, Dieter Klein zu folgen, wie er die Kämpfe analysiert und die Projekte darstellt, die den New Deal als innerkapitalistisches Transformationsprojekt ausmachten. Die Bereitschaft und Fähigkeit, das atomare Wettrüsten unter Kontrolle zu bringen, war demgegenüber ein wesentlich eingeschränkteres Projekt, auch wenn selbst im Nachhinein nicht unterschätzt werden kann, wie wichtig es war, eine relative Stabilität im atomaren Patt zu sichern, das notwendige Maß an Vertrauen aufzubauen, dass die Versuchung zum atomaren Erstschlag zügelte.
Wer lernen will, was die Machteliten in Bewegung bringen kann, wer erfahren will, unter welchen Bedingungen sie lern- und reformfähig werden, der ist gut beraten, dieses neue Buch zu lesen. Denn der Übergang von der heutigen defensiven Linken zu einer offensiven transformatorischen Linken, wie Dieter Klein ihn abschließend beschreibt, setzt die Fähigkeit voraus, sich aktiv zu den Differenzierungen der Machteliten zu verhalten. Das Nein zur herrschenden Politik muss, so Dieter Klein, »mit der Hervorhebung und Ausnutzung von Interessen innerhalb des Machtblocks an sozial-ökologischen Korrekturen der herrschenden Politik« gekoppelt werden. Die Linke kann nur dann gegen den Strom ansegeln, wenn sie die Segel ihrer Politik so setzt, dass sie dabei die Gegenkräfte des herrschenden Windes nutzt. Walter Benjamin nannte dies die Kunst der Dialektik. Das Buch von Dieter Klein, immer wieder mit Zitaten des Philosophenkaisers Mark Aurel angereichert, ist eine Schule, diese Kunst der Dialektik linker Politik zu lernen.
Dieter Klein: Gespaltene Machteliten. Verlorene Transformationsfähigkeit oder Renaissance eines New Deal? Hg. v. d. Rosa-Luxemburg-Stiftung. VSA, Hamburg 2016. 288 S., br., 16,80 €.
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