Freistaat ohne freie Wahl
Bayern gibt als erstes Bundesland Wohnsitze für Asylbewerber vor
München. Seit Donnerstag dürfen die Bezirksregierungen in Bayern anerkannten Asylbewerbern für drei Jahre einen Wohnsitz vorschreiben. »Mit der Wohnsitzzuweisung gewährleisten wir, dass Migrantinnen und Migranten in Bayern mit uns leben und nicht neben uns. So verhindern wir die Bildung von Parallelgesellschaften und fördern zugleich die Integration bayernweit«, erklärte Sozialministerin Emilia Müller (CSU) am Mittwoch in München. Bayern ist das erste Bundesland, das die Wohnsitzzuweisung zulässt. Sie basiert auf dem seit Anfang August geltenden Integrationsgesetz des Bundes.
Ausgenommen von der Regelung sind Personen, die bereits eine Ausbildung absolvieren oder sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Sie müssen mindestens 15 Wochenarbeitsstunden mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen von mindestens 712 Euro nachweisen. Die Regierungen würden die Unterzubringenden in der Regel dorthin schicken, wo sie schon während des Asylverfahrens untergebracht waren, hieß es weiter. Damit könne auf die bereits begonnene Integration vor Ort aufgebaut werden. Mit der Verteilung auf das ganze Land soll verhindert werden, dass die Asylbewerber alle in die Großstädte ziehen, wo der Wohnraum ohnehin knapp ist.
Die Hilfsorganisation Pro Asyl kritisierte das Vorgehen massiv. »Die Wohnsitzauflage ist eine der Maßnahmen, die die Integration der Flüchtlinge erschweren werden«, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt. Es passe zudem nicht zum Leben in einer freien Gesellschaft, in dem auch Initiative bei der Berufs- und Wohnungssuche wichtig seien. »Wir gehen davon aus, dass dadurch am Ende mehr Menschen in die staatliche Versorgung rutschen.«
Wie viele Menschen in Bayern von einer Zuweisung betroffen sind, können derzeit weder die zuständigen Bezirksregierungen noch das übergeordnete Sozialministerium sagen. Zunächst müsse bei allen Anerkannten geprüft werden, ob sie die Kriterien erfüllen. Die Grünen im Landtag appellierten an die Bezirksregierungen, dass für die Flüchtlinge an den zugewiesenen Orten ausreichend Beratungs- und Bildungsangebote sowie Förderungen für den Arbeitsmarktzugang vorhanden seien müssten.
In anderen Bundesländern gehen die Meinungen über die Zuweisung weit auseinander. Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben etwa laut Innenministerien noch nicht entschieden, ob und inwieweit sie von der Möglichkeit einer Wohnsitzzuweisung Gebrauch machen werden. Im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg ist man da schon einen Schritt weiter: »Die Umsetzung der bundesrechtlich eröffneten Möglichkeit, Wohnsitzauflagen für schutzberechtigte Ausländer zu erlassen, wird in Baden-Württemberg äußerst zeitnah erfolgen«, sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Stuttgart. dpa/nd Kommentar Seite 4
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.