Brot und Spiele statt Reißnägel in den Reifen

Die Spanienrundfahrt fährt endlich wieder durchs Baskenland - dem eigenen Ursprungsort, den sie lange wegen befürchteter Anschläge gemieden hatte

  • Tom Mustroph, Bilbao
  • Lesedauer: 3 Min.

Das ist mal echte Begeisterung. Als die Vuelta á España nach Bilbao kam, waren im Ziel nicht nur die Teambusse umlagert. Eine Menschenmenge drängte auch ins Hauptquartier der Rundfahrt. Die Fans wollten alles aus der Nähe sehen. Neben den Fahrern durften sich für einige Momente auch die Organisatoren und Journalisten als angehimmelte Halbgötter fühlen.

»Das Baskenland ist Radsportland. Das war schon immer so«, meint Felipe. Der 39-Jährige ist mit seinem Rennrad zum Ziel an der Gran Via gekommen, der Prachtstraße in der Innenstadt Bilbaos. Noch mehr Freude hätte ihm ein Ausflug hoch in die steilen Berge der Region gemacht. »Da ist die Stimmung fantastisch, selbst bei ganz kleinen Rennen«, erzählt er.

Auch wenn die Vuelta nur im Flachen halt macht, in seiner Heimatstadt Bilbao, kommt Felipe natürlich trotzdem und sorgt gemeinsam mit Zehntausenden Mitbürgern für ein Spektakel, das man sonst im eher ruhigen Spanien nicht kennt .

Fahrradbegeisterung hat hier eine lange Tradition. Die hat zwei Ursachen - eine agrarische und eine industrielle. »Für die Leute auf dem Land hat das ›Stahlross‹ das Pferd ersetzt. Damit konnten sie sich leicht von Dorf zu Dorf und in die nächste Stadt bewegen«, blickt Miguel Madariaga, selbst Sohn von Bauern und aktuell Präsident der baskischen Radsportstiftung auf die Ursprünge zurück.

Der zweite Grund sind Radhersteller. In der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg stellten gleich drei Waffenfabriken in der baskischen Kleinstadt Eibar die Produktion von Gewehren und Pistolen auf Fahrräder um. Waffen ließen sich nicht mehr gut verkaufen, vielleicht waren die Unternehmer auch vom Supergeschäft des Kriegs verwöhnt. Und Maschinen, die runde Läufe zogen, konnten recht einfach zum Fahrradrahmenbau umfunktioniert werden. Die drei Hersteller Orbea, BH und GAC gründeten in dieser Zeit auch eigene Radsportteams. Eibar war zudem Geburtsstätte der Spanienrundfahrt. Der Gran Premio Republica, ein Vorläufer der Vuelta, wurde in Eibar ausgetragen und von Luciano Montero gewonnen - einem Mann auf einem Orbea-Rad.

Von 1950 bis 1978 wurde die Vuelta gar von der Bilbaoer Tageszeitung »El Correo« organisiert. Das abrupte Ende dieser Ära war auch mit den Kämpfen um die Unabhängigkeit verknüpft. Bei der Vuelta 1978, mitten in der Zeit, in der die Untergrundorganisation ETA am häufigsten auf Bombenattentate setzte, um ein sozialistisches Baskenland aus einem postfaschistischen Spanien herauszulösen, warfen Zuschauer Reißnägel und ganze Tischplatten auf die Rennstrecke. Eine Etappe musste neutralisiert werden. Für mehr als drei Jahrzehnte kam die Vuelta nicht mehr ins Baskenland zurück. Und der »Correo« verkaufte die Vuelta-Rechte an ein Unternehmen aus Madrid.

Dass zwischen 1979 und 2010 die Vuelta á España einen Bogen um das Baskenland machte, hat für Felipe eindeutig politische Hintergründe. Auch jetzt findet er die Lage schwierig. »Es ist wie in Katalonien«, meint er. Die größten Debatten entzünden sich um den Grad einer möglichen Autonomie.

Immerhin haben sich die Auseinandersetzungen vom militärischen Feld auf das politische verlagert. Frühere Mitglieder und Führungskader der ETA sitzen jetzt in Parlamenten und Rathäusern. Das größte Plakat am Rande der Rennstrecke zeigt das Gesicht von Arnaldo Otegi, dem wohl wichtigsten Politiker mit ETA-Hintergrund. Auch sozialistische Experimente leistet man sich im Baskenland. Die Fahrradfirma Orbea ist seit fast 50 Jahren eine Kooperative und gehört zum großen, 120 Firmen umfassenden Genossenschaftsverbund Mondragon. Nach Auflösung des baskischen Profirennstalls Euskatel Euskadi rüstet sie nun das französische Team Cofidis mit Rädern aus - genossenschaftliche Aspekte gibt es dank der Basken sogar im Profisport.

Freilich kennt die hiesige Regierung auch den Brot-und-Spiele-Effekt sehr genau. Man muss der radsportbegeisterten Bevölkerung nur genug Rennen geben. Nach den Vuelta-Etappen in Bilbao und Urdax in diesem Jahr arbeitet die Stadtverwaltung von Bilbao intensiv an einer Tour-de-France-Etappe 2018.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -