Darauf ein Gläschen Synthehol!
Vor 50 Jahren startete die Science-Fiction-Serie »Raumschiff Enterprise«, die auch 50 Jahre irdische Geschichte reflektiert
Derzeit spricht alles dafür, dass Albert Einstein richtig lag. Die Lichtgeschwindigkeit kann nicht überschritten werden, so dass die unendlichen Weiten des Weltraums uns vorerst verschlossen bleiben. Das ist bedauerlich, andererseits aber: So dringlich man das Bedürfnis empfinden mag, diesen Planeten zu verlassen - zumindest für Zivilisationen, die der unseren technologisch unterlegen sind, ist es wohl besser, wenn wir bleiben, wo wir sind. »Interstellarer Währungsfonds: Rentenkürzungen auf Aldebaran sind unvermeidlich«, »Schrecken auf Sirius: Alles über den Kalifen von der Erde«, »Trump fordert Einmauerung des Sonnensystems gegen Migration von Regulus« - so würden die Schlagzeilen in den galaktischen Medien wohl aussehen.
Die Science Fiction kann sich mit der Bindung an unser Sonnensystem allerdings nicht zufrieden geben, hier behilft man sich meist damit, den Raum zu krümmen (to warp) und so die Relativitätstheorie zu überlisten. Allerdings treffen wir auch dort, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist, meist doch wieder nur uns selbst - Außerirdische spiegeln menschliche Eigenschaften oder konfrontieren uns mit den Problemen unseres Verhaltens. Und das auch noch, sofern für das Kino oder das Fernsehen produziert wird, im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise. Umso dankbarer muss man für die Existenz der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie sein, die es unter diesen Zwängen fertigbringt, neue Welten zu erschaffen, die implizit sogar den Kapitalismus transzendieren.
Wenn Captain James Tiberius Kirk mit der »Enterprise« auf Warp-Geschwindigkeit geht, sucht er weder Investitionsmöglichkeiten noch billige Arbeitskräfte. In mancherlei Hinsicht noch ein US-Botschafter - die Klingonen, später als Weltraum-Wikinger mit schlechten Tischmanieren und ausgeprägtem Ehrgefühl dargestellt, sind zunächst noch kaum zu verkennende Sowjet-Aliens -, lässt er sein Raumschiff von dem Russen Pavel Chekov navigieren. Als historisches Ereignis auch in der realen Welt kann gelten, dass er in einer 1968 ausgestrahlten Folge eine Afroamerikanerin, Nyota Uhura (Uhuru ist das Swahili-Wort für Freiheit), küsst, die als Kommunikationsoffizier immerhin den vierten Rang in der Befehlskette der »Enterprise« innehat, während US-Präsident Richard Nixon noch 1971 die Ansicht äußerte, die Schwarzen lebten »wie eine Hundemeute«. Kein Wunder, dass Martin Luther King persönlich die Schauspielerin Nichelle Nichols bedrängte, sie möge die Rolle weiterspielen, statt an den Broadway zu gehen.
Schwarzer Mann küsst weiße Frau - das wäre damals zu gewagt gewesen. Gene Roddenberry, der Erfinder von »Star Trek«, hatte auch so schon genug Probleme, die zunächst nicht sehr populäre Serie zu finanzieren. Man musste viel mit Pappmaché arbeiten, auch das Beamen wurde nur erfunden, weil Raumschiffmodelle zu teuer waren. Trotz der aus heutiger Sicht dürftigen Tricktechnik haben die Folgen mit der ersten Besatzung ihren Charme, nicht zuletzt wegen der Dialoge zwischen dem kühl-rationalen Ersten Offizier Spock und dem impulsiven Schiffsarzt »Pille« McCoy. Überdies muss Kirk, ein Chauvinist (die Einflüsse der Frauenbewegung machten sich erst später bemerkbar) und Draufgänger, immer mal wieder einsehen, dass er falsch liegt. So stellt sich in der Folge »The Devil in the Dark« heraus, dass ein nichthumanoides Wesen in einer Bergbaukolonie nur deshalb Menschen getötet hat, weil diese ohne es zu wissen das Überleben seiner Spezies gefährdet haben. Man kommt zu einer für beide Spezies vorteilhaften Einigung.
Jean-Luc Picard, Captain in der »Star Trek«-Serie »The Next Generation«, geht von Anfang an bedächtiger vor. Wohl geprägt vom Vietnamkriegstrauma, wird in den ab 1987 ausgestrahlten Folgen die »Oberste Direktive«, sich nicht in außerirdische Angelegenheiten einzumischen, ernster genommen. Da dieses Prinzip jedoch dramaturgisch unergiebig ist, sieht Picard sich natürlich doch immer mal wieder zum Eingreifen genötigt. Doch hätte man Kirk manchmal zurückhalten wollen, würde man Picard hin und wieder gern in den Hintern treten, damit er mehr unternimmt. Denn ist es fair, Zivilisationen die Hilfe zu verweigern, nur weil sie den Warp-Antrieb noch nicht erfunden haben? Und könnte er nicht etwas deutlicher gegen die Zwangsheiraten auf Betazed Stellung nehmen?
Immerhin findet Picard in solchen Fällen eine elegante Lösung, und dem philosophierenden Franzosen auf dem Stuhl des Captains verdanken wir einige der geistreichsten »Star Trek«-Folgen. Heimlicher Star dieser Generation ist der Android Data, der mehr und mehr Individualität gewinnt. In »The Measure of a Man« gelingt es Picard, mit seinem Plädoyer Data davor zu bewahren, als Gegenstand behandelt zu werden. Die Herkunft, ob fremder Planet oder Werkstatt eines künstliche Personen zusammenbastelnden Genies, ist nicht entscheidend, denn eine intelligente Lebensform kann sich emanzipieren und ist als Individuum zu betrachten. Zu den Stärken von »Star Trek« gehört es auch, dass außerirdische Zivilisationen und Spezies zwar in konzentrierter Form menschliche Eigenschaften verkörpern, das Klischee dann aber gebrochen wird. Die Ferengi etwa, Abenteuerkapitalisten auf unermüdlicher Jagd nach Profit, wirken anfangs nicht sehr sympathisch. Aber gäbe es das »Star Trek«-Universum wirklich - wer würde nicht gerne auf ein paar exotische Drinks und vielleicht ein Spiel oder ein Holodeck-Abenteuer in die Ferengi-Bar »Quark’s« einkehren wollen?
Das »Quark’s« befindet sich auf der Raumstation »Deep Space Nine«, auf der hat ein Afroamerikaner, Benjamin Sisko, das Kommando übernommen. In den ab 1993 ausgestrahlten, oft unterschätzten Folgen (tatsächlich kommt die Handlung erst nach der ersten Staffel in Schwung) wird die »neue«, letztlich sehr alte Weltordnung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion reflektiert. Die Erde ist noch immer de facto kryptokommunistisch, ihre Repräsentanten aber sind konfrontiert mit Diktaturen, Bürgerkriegen, Invasionen, so dass es daheim fast noch einmal zu einem Putsch kommt - es wird ein wenig düsterer, doch hat das Vorzüge. War es auf Picards »Enterprise«, in deren Bar »Zehn Vorne« nur Synthehol ohne Rauschwirkung ausgeschenkt wird, ein wenig steril, darf man sich nun im Weltraum auch mal besaufen: nämlich im »Quark’s«, dessen Besitzer, der Ferengi Quark, der heimliche Star wird, auch wenn man in der Folge »Bar Association« auf der Seite seiner Angestellten steht, die eine Gewerkschaft gründen, wobei wohl zum ersten Mal in der Film- und Fernsehgeschichte im Weltraum Marx zitiert wird.
In die Epoche von »Deep Space Nine« fällt auch »Der erste Kontakt« (1996), der wohl beste der »Star Trek«-Spielfilme. Die andere Zivilisationen assimilierenden Borg, die man wahlweise als Symbolfiguren einer totalitären Diktatur oder eines alles verwertenden und nivellierenden Kapitalismus sehen kann, haben die Erde erobert, indem sie in die Vergangenheit reisten und diese veränderten. Also muss Captain Picard mit seiner »Enterprise« hinterher in die Zeit, als die Menschen den Warp-Antrieb erfanden, und sich ebenso wie Data selbst überwinden, bevor am Ende die Erde natürlich doch noch gerettet wird.
Das Potenzial war nun ausgeschöpft. Es wurden zwar noch herausragende Folgen produziert, etwa jene, in denen sich Kathryn Janeway, Captain der »Voyager«, mit den Borg verbündet, weil es Leute im Universum gibt, die noch viel finsterer drauf sind, und auch die neueren Spielfilme sind sehenswert. Aber wirklich neue Welten werden nicht mehr erschlossen. Selbstreferenzielle Spielereien für die Fans ersetzen nun originelle Alien-Charaktere.
Auch die Science Fiction entkommt der Wirklichkeit nicht, weder den kapitalistischen Verwertungszwängen, die dafür sorgen, dass die Marke »Star Trek« genutzt wird, solange sie profitabel ist, noch der gesellschaftlichen Entwicklung, die die Serie »Star Trek« 50 Jahre lang geprägt und dafür gesorgt hat, dass das utopische Element immer mehr in den Hintergrund getreten ist.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.