Die kleine, freche, schlaue
Vor 40 Jahren hat Maja die Herzen der westdeutschen Kinder erobert
Ein Fernsehhaushalt kann heute im Schnitt 80 Programme empfangen. Vor der Einführung des Privatfernsehens Mitte der 80er Jahre sah das noch ganz anders aus: ARD, ZDF, ein »Drittes«, in Grenznähe vielleicht auch noch ein oder zwei Auslandssender: Das war›s. Deshalb finden Menschen über 40 auch mühelos gemeinsame Kindheitserlebnisse: weil sie in der Regel dasselbe Kinderprogramm gesehen haben: »Wickie«, »Pumuckl« und eben »Biene Maja«, vor 40 Jahren das erste Mal gesendet.
Die liebenswerte Honigbiene, die Drohne Willi, der Grashüpfer Flip und die bedrohliche Spinne Thekla hinterließen bei vielen Kindern einen bleibenden Eindruck. Das Titellied von Karel Gott gehört zum kollektiven Gedächtnis der meisten westdeutschen Erwachsenen: »Und diese Biene, die ich meine, nennt sich Maja.« Ab dem 9. September 1976 flog die Biene immer donnerstags 52 Folgen lang über die Bildschirme des ZDF. Die Serie war so beliebt, dass der Sender die erste Staffel sonntags wiederholte und eine zweite in Auftrag gab.
Tatsächlich ist Maja aber viel älter. 1912 veröffentlichte Waldemar Bonsels sein Buch »Die Biene Maja und ihre Abenteuer«. Bis heute ist es in 40 Sprachen übersetzt worden. Mit der in Japan produzierten ZDF-Serie haben Bonsels‹ Vorlagen - 1915 erschien die Fortsetzung »Himmelsvolk« - außer der Hauptfigur allerdings kaum etwas gemeinsam.
Im Grunde sind die Geschichten geschickt verpackter Biologieunterricht: Bei ihrem Ausflug in die Welt lernt die frisch geschlüpfte Honigbiene viele Insekten kennen, von denen sie ausführlich über ihre Lebensumstände informiert wird. Heutige Eltern würden allerdings über die diversen Grausamkeiten stolpern: Mehrfach werden Majas Gesprächspartner unvermittelt und mitten im Geplauder von Fressfeinden zermalmt.
Zum Bestseller wurde »Die Biene Maja« vor allem dank der erwachsenen Leser: Während des Ersten Weltkriegs avancierten die Kindergeschichten zu einer Lieblingslektüre der deutschen Soldaten. Kein Wunder: Bei der Beschreibung eines »aufopferungsvollen Kampfs« gegen Eindringlinge schwärmt Bonsels vom »kühnen Soldatentod« und der »wilden Seligkeit der hohen Todesbereitschaft«. Solche Durchhalteparolen sind in der TV-Serie selbstverständlich nicht enthalten. Der damalige Leiter des ZDF-Kinderfernsehens, Josef Göhlen, hatte das Buch als Kind gelesen und suchte nach dem Erfolg von »Wickie« nach einem Stoff für die nächste Serie; da fiel ihm »Biene Maja« wieder ein.
Bonsels sei damals längst vergessen gewesen, erinnert sich Göhlen, mittlerweile Mitte 80, »und das wäre er auch heute noch, wenn wir die Serie nicht gemacht hätten.« Der Redaktionsleiter war sich damals bewusst, dass Bonsels in der Zeit des Nazi-Regimes mehr als nur ein Opportunist gewesen ist, »aber da sollte man den Ball flach halten; es handelt sich doch nur um Fiktion. Der Autor war mir völlig egal, mich hat immer nur die Figur interessiert.«
Tatsächlich will die Serie vor allem Kurzweil bieten: »Mit Anspruch, aber ohne jede Belehrung«, wie Göhlen betont. Diese Haltung hat er bei allen seinen Produktionen vertreten, darunter weitere Klassiker wie »Wickie«, »Pippi Langstrumpf« oder »Timm Thaler«.
Irene Wellershoff, beim ZDF stellvertretende Leiterin des Kinderfernsehens und zuständig für fiktionale Stoffe, erklärt die ungebrochene Begeisterung für Maja damit, dass Kinder einfach von kleinen Wesen fasziniert seien: »Während Eltern auf die Schönheit des Panoramas hinweisen, entdeckt das Kind eine Ameise auf dem Boden. Außerdem gefallen Kindern der Freiheitsdrang von Maja und der lustige Willi.«
Dass die eckige und steife Machart der vielfach wiederholten Serie einem Vergleich mit modernen Animationsproduktionen nicht standhält, sei für die Zielgruppe kein Thema, glaubt die ZDF-Redakteurin: »Für Kinder ist die Geschichte wichtiger als der Look.«
Trotzdem war man beim ZDF der Meinung, dass Stil und Erzählweise aus dem Rahmen des Programmumfelds fallen. 2013 startete die Serie neu als digitale Animationsserie - mit einer deutlich verschlankten Maja und einem Titellied von Helene Fischer.
Für die Fans der ersten Stunde aber zählt selbstredend nur das Original, das nicht mehr gezeigt worden ist, seit es die neue Produktion gibt. Laut Wellershoff ist im nächsten Jahr eine Wiederholung der »alten« Maja-Geschichte geplant. epd/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.