Thüringen: Jedes vierte Kind ist arm

Linkspartei für Modellprogramm / Anhörung im Landesjugendhilfeausschuss für Februar geplant

  • Peter Liebers
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.

Angesichts der dramatischen Zunahme armer Kinder in Thüringen hat der Landesjugendhilfeausschuss des Freistaates die Einrichtung einer Arbeitsgruppe beschlossen, die sich mit diesem Thema befassen soll.

Der von dem Landtagsabgeordneten der Linkspartei.PDS, Matthias Bärwolff, eingebrachte Antrag sieht unter anderem vor, eine Konzeption zur sozialräumlichen Armutsbekämpfung und -prävention zu entwickeln. Mögliche Lösungsansätze sollen dann in einem Landesmodellprogramm in zwei Städten und einem Landkreis erprobt werden. Für Februar ist dazu eine Anhörung im Landesjugendhilfeausschuss geplant. Der Thüringer Gemeinde- und Städtebund und der Landkreistag haben sich allerdings schon im Vorfeld ablehnend geäußert. Sie pochen nach Darstellung von Bärwolff auf die kommunale Selbstverwaltung. Dabei habe die Kinderartmut in Thüringen inzwischen ein »erdrückendes Ausmaß« angenommen, sagte Bärwolff dem ND. Seit Einführung der Hartz-IV-Gesetze sei die Zahl der armen Kinder im Freistaat um 162 Prozent gestiegen. Generell gelte als arm, wer über ein Einkommen von weniger als 40 Prozent des Durchschnittseinkommens verfügt, betonte Bärwolff. Mit Hartz IV habe es die Bundesregierung geschafft, ganze Familien in Armut zu stürzen, da das ihnen gezahlte ALG II von 345 Euro bei genau 41 Prozent des Durchschnittseinkommens liege. Inzwischen steigt die Zahl der armen Kinder weiter. Statistischen Angaben zufolge gilt zwischen Altenburg und Eisenach inzwischen jedes vierte Kind als arm. In sozialen Brennpunkten und Großstädten wie Erfurt, Jena, und Gera ist sogar fast jedes dritte Kind betroffen. In Gera sind das 3193 Kinder bis zu 15 Jahren. Angesichts dieser Situation hat der Stadtverband des Kinderschutzbundes Anfang Dezember die erste Kinderkleiderkammer des Freistaates eröffnet. Kinderarmut manifestiere sich nicht mehr nur im Ausschluss von Sport, Spiel und Kultur, sondern auch in einem krassen Defizit an materieller Grundausstattung, betonte Jugendamtsleiter Dirk Fehrensen bei der Eröffnung der Einrichtung. In der Landeshauptstadt müssen rund 7500 Kinder vom Hartz-IV-Regelsatz leben. Für ein Kind bis 14 Jahre sind danach für Lebensmittel und Getränke täglich nur 2,62 Euro vorgesehen. Für die über 14-Jährigen »steigt« der Betrag um 0,87 Euro. Früher seien es vor allem ältere Frauen gewesen, die auf Sozialhilfe angewiesen waren, konstatiert Prof. Dr. Roland Merten von der Jenaer Universität in einem Beitrag zur Jugendarmut. Seit 1980 habe sich die Situation dahingehend verändert, dass die Zahl der von Armut betroffenen Kinder deutlich zugenommen hat. Der dramatischste Anstieg erfolgte dabei bei den unter Siebenjährigen, die inzwischen die Hälfte aller Hilfebezieher ausmachen. Dass es in einem der reichsten Länder der Erde überhaupt Kinderarmut gibt, sei schon an sich beschämende, betont Merten. Stelle man jedoch die Tatsache in Rechnung, dass in den neuen Bundesländern seit Jahren extrem niedrige Geburtenziffern zu verzeichnen sind und trotzdem die Zahl der in Armut lebenden Kinder beständig ansteigt, dann werde daran der eigentliche sozialpolitische Skandal deutlich. Der Erziehungswissenschaftler verweist in diesem Zusammenhang auf den »Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre«, in dem es unter anderem heißt: »Obwohl die nachwachsende Generation der Kinder nur 14 Prozent der Bevölkerung ausmacht, so ist sie doch zu 100 Prozent unser aller Zukunft!« »Wie wahr!«, betont Marten und fordert, mit die...

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