Die verunsicherte Metropole
Unter CDU-Innensenator Henkel ist die Kriminalität gestiegen, SPD und Grüne lauern auf Ablösung
Es ist die ganz große Bühne. Nicht weniger als 17 Kamerateams haben sich in dem Saal 12 des Berliner Maritim-Hotels mit seinen tiefen, blau-beigefarbenen Teppichen und den holzgetäfelten Wänden aufgebaut. »Ein bisschen wie bei der Queen«, scherzt eine Journalistin beim Reinkommen. An diesem Donnerstag Mitte August bei der Unions-Innenministerkonferenz bietet sich für Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) das ideale Forum, um auch mal bundesweit groß rauszukommen - und das mitten im laufenden Wahlkampf zum Abgeordnetenhaus, wo die Union in Umfragen seit Monaten schwächelt. Doch Berlins Innensenator, der 2011 als »Aufräumer« antrat, und die Metropole sicherer machen wollte, bleibt auch auf großer Bühne seltsam zurückhaltend. Kurz zuvor hat er in der innerparteilichen Diskussion eine heftige Klatsche eingefahren. Weder beim vom Henkel geforderten Burkaverbot noch bei der Abschaffung des Doppelpasses wollten ihm die anderen Innenminister der Union folgen. Henkel spricht dennoch von »leidenschaftlich, intensiven Diskussionen« und dass die Linie in der »Berliner Erklärung« die Union voranbringe. Nach wenigen Minuten ist Henkels Statement vorbei.
Die kleine Szene zeigt: Berlins Innensenator macht eine blasse Figur, in vielen Bereichen ist er jahrelang untätig geblieben. An diesem Bild, das sich auch in den Sympathiewerten spiegelt, ändern die genannten populistischen Vorstöße Henkels wenig, auch nicht die zuletzt vorgestellte Bewaffnung der Polizei mit Tasern oder zur Einführung von Software, mit der Einbrüchen vorhergesagt werden sollen. Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass viele Berliner mit dem Innensenator unzufrieden sind und sich an vielen Orten der Stadt nicht sicher fühlen. Dafür stehen Debatten wie um den Alexanderplatz, das Kottbusser Tor oder das RAW-Gelände. Zuletzt gab es sogar zwei Tote zu beklagen, deren Morde möglicherweise aus dem Umfeld von Rockergruppierungen verübt wurden - jenes kriminelle Milieu, dem Henkel zu Beginn der Wahlperiode den Kampf angesagt hatte. Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), bezeichnete jüngst in der Wochenzeitung »Zeit« die Kriminalität in ihrem Bezirk als »knallhart mafiös«.
Überwachung
Die CDU fordert die Ausweitung der »Videotechnik« an kriminalitätsbelasteten Orten ein. Auch die Speicherdauer der Bilder soll auf 14 Tage ausgeweitet werden. Eine Evaluation der Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen schlagen die Grünen vor, bei nicht nachgewiesener Wirksamkeit soll die Überwachung abgebaut werden. Gegen die Ausdehnung des »Überwachungsstaates« an sich setzt sich die LINKE ein, die die Videoüberwachung in der Stadt auf das Nötigste beschränken will. Bei Versammlungen will sich die SPD für »eine restriktive Handhabung beim Filmen« einsetzen.
Verfassungsschutz
Trotz des Skandals um das Schreddern von Akten beim Verfassungsschutz im Kontext der NSU-Mordserie haben CDU und SPD den Berliner Nachrichtendienst weiter ausgebaut. Die LINKE sieht den Verfassungsschutz nach den gemachten Erfahrungen als »Gefahr für die Demokratie« und will ihn abschaffen. Auch die Grünen sehen den Verfassungsschutz als »nicht mehr zeitgemäß« an und wollen ihn »mittelfristig« auflösen. Die SPD sieht in einem demokratisch kontrollierten Nachrichtendienst dagegen weiter ein »Frühwarnsystem« gegen islamistischen und rechten Terror.
Kriminalität
Aus Sicht der SPD bleibt es das Ziel, dass Kriminalität erst gar nicht entsteht. Deshalb soll gerade bei der Einbruchskriminalität die Prävention gestärkt und das Beratungsangebot der Polizei ausgebaut werden. Die Grünen wollen unter anderem das Landeskriminalamt stärken, damit es besser gegen die Organisierte Kriminalität und Wirtschaftskriminalität vorgehen kann. Gewaltdelikten von Jugendlichen will die CDU weiterhin »entschieden« begegnen. Jugendlichen Intensivtätern will die Union als »spürbare« Sanktion in Zukunft die Fahrerlaubnis entziehen.
Polizei
Fast alle Parteien wollen die Polizei aufstocken. Die SPD will jedes Jahr 100 neue Stellen im Polizeivollzug schaffen, die CDU bis 2021 sogar 750 Stellen. Die Grünen wollen die Präsenz vor Ort mit 500 neuen Polizisten verbessern, und den Kontaktbereichsbeamten wieder einführen. SPD, CDU, Grüne aber auch die LINKE wollen zudem die Polizei besser ausstatten. Die LINKE will überdies die Ausbildung verbessern und die Einhaltung der Kennzeichnungspflicht garantieren. LINKE, Grüne und Piraten wollen eine unabhängige Untersuchungsinstanz für Polizeigewalt einrichten.
Doch nicht nur die großen Geschichten in den Medien trüben das Sicherheitsempfinden. Vielmehr ist es die gestiegene Kriminalität an sich. Die CDU verweist im laufenden Wahlkampf zwar darauf, dass die Gewaltkriminalität in der Hauptstadt zurückgegangen sei, und zuletzt auch die Zahl der Wohnungseinbrüche zurückging, die Gesamtzahl der Straftaten stieg aber während der Regierungsperiode der Großen Koalition an.
»Es wäre aber wünschenswert, wenn wir in den Feldern, in denen in den individuellen Persönlichkeitsbereich eingedrungen wird, mehr für die Sicherheit der Menschen tun könnten«, sagt die Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Kerstin Philip. Sie verweist auf die steigenden Zahlen in den Feldern mit signifikant niedriger Aufklärungsquote - Fahrrad- und Taschendiebstahl sowie Einbrüchen in Keller und Einfamilienhäuser. Besondere Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung hat auch die gesunkene Polizeipräsenz. Die GdP kann das genau an der Zahl der Einsatzkräftestunden nachweisen. Auch die von der CDU im laufenden Wahlkampf kolportierte Zahl von 1000 neuen Polizisten relativiert sich bei näherer Betrachtung: Im Dienst sind 250 neue Beamte, das Geld für den Rest kommt aus dem laufenden Doppelhaushalt und die Beamten müssen noch ausgebildet werden. Hinzu kommt, dass auch bei der Polizei eine große Pensionierungswelle anrollt und die Beamten aufgrund der steigenden Aufgaben in einer wachsenden Stadt immer größeren Belastungen ausgesetzt sind, die zu einer hohen Zahl noch »beschränkt einsetzbarer« Beamten führt. Über 1,5 Millionen Überstunden haben die Polizisten angehäuft.
Angesichts der Probleme bei der Polizei und des beeinträchtigten Sicherheitsempfindens spielt das Thema Innere Sicherheit im laufenden Wahlkampf eine wichtige Rolle. Rechtspopulisten versuchen aus den Ängsten Kapital zu schlagen. Nahezu jede Partei fordert eine personelle Aufstockung der Polizei. Besonders auffällig ist, wie sich auch SPD und Grüne in diesem Feld profilieren wollen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) positionierte sich jüngst öffentlich zusammen mit seinen Bürgermeisterkollegen aus München und Hamburg zu sicheren Metropolen. Auch die Grünen stellten ein eigenes Sicherheitspapier vor, um den »jahrzehntelangen Reform- und Investitionsstau« der Sicherheitskräfte zu bewältigen. Gut möglich, dass aus der SPD und den Grünen der neue Innensenator gestellt wird, sollte die CDU nicht an der neuen Senatsregierung beteiligt sein.
Ein Innensenator aus den Reihen der LINKEN wäre in Berlin weiter undenkbar. Dabei machen auch die Sozialisten Vorschläge für diesen Bereich: So soll insbesondere in Busse und Bahnen mehr Personal statt Videoüberwachung für mehr Sicherheit sorgen. Im Bereich Überwachung gibt es große Unterschiede zwischen den Parteien. Während die CDU diese - siehe Stille SMS, Telefonüberwachung und Videokameras - ausweiten will, fordern andere eine Einschränkung und Überprüfung der Maßnahmen. Die gegensätzlichen Auffassungen zeigen sich auch beim Verfassungsschutz.
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