»Ich will nicht, dass Menschen vor unserer Haustür sterben«

Tag 7 und 8: Die Freiwilligen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 8 Min.

Ein Rettungsschiff ist nur so gut wie seine Besatzung: Das »Search- and-Rescue«-Team an Bord wird von den beiden erfahrenen Verantwortlichen Johann und Ani angeführt. Insgesamt sieben Freiwillige unterstützen sie bei dieser Aufgabe. Franzosen, Briten und Deutsche, darunter Studenten, aber auch Fischer und Seefahrer. Während das Personal von »Ärzte ohne Grenzen« relativ konstant bleibt, unterliegen die »SAR«-Mitglieder einer ständigen Fluktuation. Eine »Rotation« auf der »MS Aquarius« dauert drei Wochen, einige der Freiwilligen waren aber auch schon mehrmals dabei. Für die Arbeit auf dem Schiff gibt es eine kleine symbolische Vergütung, doch wegen des Geldes fährt hier niemand mit.

»Wir sind hier schon derselbe Menschenschlag«, kommentiert der aus Hamburg kommende Till. Abenteuerlustig und doch reflektiert wirken sie, niemand der Freiwilligen ist älter als 40 Jahre alt. Die meisten scheinen in ihrem Leben nach etwas zu suchen, von der Zeit an Bord erhoffen sie sich möglicherweise Antworten. Fast alle verfügen entweder über Erfahrung in der Flüchtlingshilfe oder stehen mit der Seefahrt in Verbindung. Auf dem höchsten Punkt des Schiffes, der »Affeninsel«, haben sie sich Hängematten gebastelt. Dort wollen sie die Nächte zusammen verbringen, auch wenn der Kapitän das aus Sicherheitsgründen bisher verbietet. Die Freiwilligen mögen sich noch nicht lange kennen, doch eine bestimmte Vertrautheit ist bereits zwischen ihnen zu spüren. Momente wie eine gemeinsam durchgeführte Rettung schweißen zusammen. Man passt aufeinander auf.

Zwei von ihnen sind Anton und Mary. Anton Shakouri ist 27 und kommt aus der Nähe von Koblenz. Er hat Schifffahrt in Bremen studiert und arbeitet für ein Unternehmen, dass eine Art TÜV für Boote anbietet. Mary Finn ist 19 Jahre alt und kommt aus Großbritannien. Ich habe mit beiden nach der ersten Rettung der »MS Aquarius« gesprochen.

Anton, du bist Freiwilliger des »Search and Rescue«- Teams an Bord. Warum hattest du dich für diese Arbeit entschieden?
Ich will nicht, dass Menschen vor unserer Haustür sterben. Ich will das beenden.

Was meinst du damit?
Ich komme aus der Seefahrt. Es gibt bei uns eine Berufsehre, dass man Menschen rettet, wenn sie in Gefahr sind. Ich will damit aber auch ein politisches Zeichen setzen.

Was für ein Zeichen? Gegen die Rassisten, die in Deutschland ungebrochen Erfolge feiern?
Diese Menschen, die auf die Straße gehen und gegen Flüchtlinge demonstrieren, sind Idioten. Die haben überhaupt keine Ahnung, wie das hier aussieht und wollen sich auch nicht informieren. Denen ist das Sterben praktisch egal.

Welche Erfahrung hast du mit Einsätzen auf Rettungsbooten?
Ich bin seit mehr als einem Jahr in dem Bereich tätig. Vergangenen Juni bin ich das erste Mal mit der »Sea Watch« mitgefahren. Es gab damals noch keine andere Organisation, wo man sich als Deutscher bewerben konnte. Ich hatte einfach angefragt und war schon direkt dabei.

Welche Unterschiede gibt es zur Arbeit auf der »MS Aquarius«?
Bei den Rettungseinsätzen gibt es keine Unterschiede. Alle sind professionell und haben den notwendigen Mut. Bei der »MS Aquarius« ist es aber ein bisschen anders, da wir hier die Menschen an Bord nehmen und dann manchmal auch nach Italien bringen. Man verbringt länger Zeit mit ihnen und hat einen intensiveren Kontakt.

Du sprichst als einziger im »SAR«-Team arabisch. Hast du dadurch eine andere Verbindung zu den Flüchtlingen?
Zu den Eritreern und Sudanesen hauptsächlich. Und zu den Syrern, auch wenn wir von ihnen nicht mehr so viele retten wie im letzten Jahr. Man hat einen ganz anderen Draht zu den Leuten, sie sind mir gegenüber offener.

Was haben sie dir berichtet?
Das kommt auf die Flüchtlingsgruppen an. Die Syrer versuchen zügig nach Libyen und von dort aus nach Europa zu kommen. Die wenigsten halten sich länger als ein paar Wochen im Land auf. Die Eritreer und Sudanesen sprechen dagegen oft von Entführungen, Gefängnisaufenthalt und Folter.

Wie gehst du damit um?
Man denkt oft drüber nach, was man hier eigentlich macht. Das Sterben der Flüchtlinge ist kein europäisches Problem, sondern ein globales. Unsere westlichen Regierungen haben dabei eine Mitschuld für die Verhältnisse in den Herkunftsländern. Wir haben lange die Despoten in Eritrea, Nigeria, dem Sudan und anderswo unterstützt. Über die schlechten Zustände in den Ländern wurde hinweggesehen.

Wir hatten vor ein paar Tagen unsere erste Rettung. Wie lief es aus deiner Perspektive?
Es lief gut, es war eine reine Bilderbuchrettung. Ich war an Deck und habe die Leute in Empfang genommen. Dabei habe ich ihre Hände gehalten und sie auf das Schiff geholt. Ich bin auch auf dem Rettungsboot mitgefahren. Während des Einsatzes habe ich kaum nachgedacht, da muss man einfach seine Gedanken abschalten und funktionieren.

Hast du Angst, dass du bei weiteren Missionen mit sterbenden oder toten Menschen konfrontiert werden könntest?
Angst habe ich nicht, aber Respekt. Wenn ich Angst hätte, wäre ich hier Fehl am Platz. Wir haben alle an Bord Respekt vor der Arbeit die wir leisten und vor dem, was uns da draußen erwartet. Wir müssen uns einfach im Klaren darüber sein, dass Menschen sterben können.

Hast du dich durch die Einsätze auf den Rettungsbooten verändert?
Deutsche Probleme wie ein sinnloser Brückenbau oder ein teurer Radweg werden unwichtiger. Auch Sachen, für die man sich vorher interessierte, werden unwichtiger. Vor unserer Haustür im Süden Europas gibt es ein massives Problem. Das Mittelmeer wird zum Massengrab und die Leute regen sich über Kleinigkeiten auf.

Was würdest du den Menschen in Deutschland ausrichten wollen?
Wir sind wie eine Art Feuerwehr. So sollten uns die Leute auch sehen. Gleichzeitig sind wir aber auch eine privatfinanzierte Seenotrettung und brauchen Hilfe durch Spenden.

Du bringst den Vergleich der Feuerwehr: Ist es nicht wichtig, auch die Brandherde, die die Feuer immer wieder neu entfachen, zu beseitigen?
Das können wir hier vor Ort nicht lösen. Auch Deutschland und selbst Europa schafft das vermutlich nicht alleine. Kurzfristig sind die Rettungseinsätze die einzige Möglichkeit. Als Zivilgesellschaft können wir so wenigstens erreichen, dass die Flüchtlinge nicht ertrinken. Oder zumindest die Zahl der Toten massiv reduzieren.

Was könnte mittelfristig eine Lösung sein?
Wir brauchen sichere Fluchtwege. So lange Menschen sterben, müssen Möglichkeiten geschaffen werden, wie sie ihr Zielland ohne Gefahr erreichen können.

Mary, warum arbeitest du als Freiwillige auf der »MS Aquarius«?
Als die Situation für die Flüchtlinge immer schlimmer wurde, wollte ich mich einbringen. Freunde von mir hatten bereits Lager von Geflüchteten in verschiedenen Orten Europas besucht. Auch ich entschied mich dann zu helfen. Passenderweise hatte ich die Fähigkeiten, als Rettungskraft auf einem Schiff wie diesem hier zu arbeiten. Nach solchen Leuten wird immer gesucht. Das ist der beste Ort, mein Können einzusetzen.

Gab es einen bestimmten Auslöser für dein Engagement?
Es war ein schrittweise Entwicklung. Anfangs hatte ich mich online über die Situation der Flüchtlinge informiert und Artikel gelesen. Ich folgte dann verschiedenen Rettungsteams auf Facebook. Mein Interesse für das Thema wurde immer größer.

Hast du bereits Erfahrung mit der Rettung von Flüchtlingen?
In Wales wurde ich für Rettungseinsätze ausgebildet. Im vergangenen Jahr habe ich dann für mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen auf Lesbos gearbeitet.

Wie unterscheidet sich die Arbeit auf der »MS Aquarius« im Vergleich zu deinen Einsätzen auf Lesbos?
Die Arbeit hier ist anstrengender. Die Rettung vor einigen Tagen dauerte knapp zwei Stunden, auf Lesbos dauerten sie im Schnitt nur eine halbe Stunde. Auf dem Meer hat man dafür mehr Zeit zur Vorbereitung. Auf Lesbos waren es nur um die zehn Minuten, die Rettungsboote mussten dort so schnell wie möglich starten. Wir liefen damals zwischen drei und elf Uhr in der Früh immer Patrouille am Strand. Die Aufgabe war zu prüfen, ob Leute angespült worden waren oder sich im Wasser befanden. Die Rettungen an sich liefen dann aber ähnlich ab wie hier.

Wie empfandest du die Rettung, die das Schaff vor einigen Tagen erlebt hatte?
Es war gut am Anfang, eine Rettung ohne Komplikationen zu erleben, um sich einzugewöhnen und das Team kennenzulernen. Das gibt mir Sicherheit. Ich vertraue nun meinen Fähigkeiten und den Menschen um mich herum, dass sie in brenzligen Situationen wissen, was sie tun müssen. Das Team hier ist stark. Ich war zum Schluss sehr glücklich, dass es keine größeren Verletzungen gab und die Leute sicher an Bord waren.

Wie lenkst du dich auf dem Boot ab?
Ich genieße es, von Leuten umgeben zu sein. Wenn es eine problematische Rettung gibt, ist es mir wichtig, darüber zu sprechen und mit anderen Kontakt zu haben. Wenn ich alleine bin, fange ich an über die Erlebnisse zu grübeln und fühle mich möglicherweise bedrückt. Es ist wichtig, ein befreundetes Team zu haben, dass einen ablenken kann.

Hat dich der Kontakt mit den Flüchtlingen verändert?
Durch die Gespräche ist mir nochmal klarer geworden, dass sie Menschen sind wie du und ich. Das Label oder die Zuschreibungen die man ihnen gibt, bedeuten absolut Nichts, wenn man hier ist, sich mit ihnen unterhält oder mit den Kindern spielt. Niemand von ihnen verdient es, auf See zu sterben. Ich will diese Arbeit so gut und so lange machen, wie ich kann.

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