Große Kunst, globale Krise
Die Ausstellung »El Siglo de Oro« zeigt in Berlin das »goldene Zeitalter« Spaniens
Spanien, Europa, Staaten im Abschwung und die Kunst in der Blüte, Schönheit als Lust und (Überlebens-)Programm - man könnte von der Gegenwart reden, aber mit »El Siglo de Oro« lädt die Gemäldegalerie Berlin in das Spanien des 17. Jahrhunderts.
Es ist das »goldene Zeitalter« der Kunst und die Ära einer globalen Krise. Kriege, Hungersnöte, Epidemien - der Ritter der traurigen Gestalt, Miguel de Cervantes, hat mit seinem Roman »Don Quijote« davon erzählt. Die Mittelmeermonarchie ist eine Großmacht im Zerfall. Europa in Aufruhr, Dreißigjähriger Krieg, Religionskämpfe. Adel, Klerus, Bürgertum ringen um Vormacht. Der Einfluss der spanischen Krone aufblühend mit Philipp II., krisengeschüttelt unter der Herrschaft von Philipp III. und reformorientiert mit Philipp IV., dem großen Kunstsammler. Eine Weltkarte im Foyer skizziert das einstige Imperium: die Küstengebiete Afrikas und Asiens, großflächig der amerikanische Kontinent.
Sie zeigt nicht den Wettlauf der Kolonialmächte, nicht Holland als aufstrebende Handelsmacht oder die Vernichtung der spanischen Seeflotte vor England 1588. Sie lässt nicht Eleganz und Dekadenz am Hofe erkennen oder beschreibt Kastilien als eine Festung der Gegenreformation. Sie lässt nichts von der mit Frankreichs Unterstützung erworbenen Selbstständigkeit Kataloniens erahnen, nichts von der strategischen Verwandtschaft der Herrschaftshäuser. Nach Philipp IV. kam der minderjährige und zurückgeblieben Habsburger Karl II. auf den Thron, die Regentschaft übernahm seine Mutter Maria Anna von Österreich, von Diego Rodriguez de Silva y Velázquez in ornamentreicher, steifer Kleidung präsentiert. Ein Bild von den Zerrissenheiten, den ringenden Kräften, von Alltag, höfischem Zeremoniell und den klerikalen Dogmen der Barockepoche geben die 135 Werke - Malerei, Zeichnung und Skulptur - aus über sechzig öffentlichen und privaten Sammlungen, dabei auch ein beachtlicher Grundstock aus der Gemäldegalerie selbst, mit denen die Kunstentwicklung eines Jahrhunderts durchmessen wird.
Die Blüte des spanischen Barock wurde durch Künstler wie Diego Velásquez, Bartolomé Esteban Murillo, Jusepe de Ribera, Franzico de Zurbarán zum Leuchten gebracht. Große Häuser wie der Louvre, das Amsterdamer Rijksmuseum, das Wiener Kunsthistorische Museum, das Statens Museum in Kopenhagen und die Tate Gallery haben Werke beigesteuert. Die chronologische und nach Territorien gegliederte opulente Ausstellung, zu Recht auch als Erfolg einer »wahrhaften europäischen Zusammenarbeit« der Museen und Leihgeber gefeiert, lädt zum Schauen und Schaudern ein.
Leidensfähigkeit und Schmerzprojektion wurde im christlichen Raum und erst recht im katholischen Spanien ikonografisch geschult. Blut quillt reichlich. Etwa bei Luisa Ignacia Roldáns »Christus am Kreuz«. Der Moment des Sterbens wird von Mateo Cerezo hyperrealistisch mit halb geöffneten Augen und halb geöffnetem Mund zelebriert. Gregorio Fernandez (1576-1636) zeigt den aufgebahrten blassen Leib des toten Christus. Ein schaubudenhafter Naturalismus, gelegentlich samt Glasperlen, Elfenbein und Echthaar, dient der Mystifikation. Überhöhung und Imagination sowie ein feinfühliger Realismus liegen in der Epoche dicht beieinander: Der in sich gekehrte »Ecce homo« von Bartolomé Esteban Murillo könnte in seiner naturalistischen Malerei kaum diesseitiger sein, derweil Pedro de Mena bei seiner gleichnamigen Andachtsfigur (um 1673) eher einem Gruselpopulismus genügt.
Sakrale Gemälde, höfische Kultur und Genrebilder geben Einblick in das polyzentrale Kunstschaffen: Aragon, das kosmopolitische und wohlhabende Sevilla oder Madrid mit seinen eigenen Inspirationen. Nicht nur im Titel von Holland-Erfahrung geprägt - das lebenspralle und klar geordnete »Amsterdamer Küchenstück« oder die von Juan van der Hamen y León in stiller Würde vorgezeigten »Schachteln und Gefäße mit Süßigkeiten«. Von Bartolomé Estéban Murillo stammt das heitere Bild zweier Dorfjungen mit Hündchen (»Die Pastetenesser«) beim Fest des kleinen Genusses.
Velázquez ist der Star am Hofe Philipps IV. und ob seiner Malkultur bis heute ein Begriff spanischer Hochkultur. Hier beeindruckt ein Porträt, das er von seinem visionären Malerkollegen und Schwiegervater Francisco Pacheco geschaffen hat. Von Spanien erzählen, so will es die Kunstschau, heißt über seine künstlerisch-intellektuellen Errungenschaften zu sprechen und darüber die aktuelle anhaltende Krise etwas zu verdrängen - oder nein, um gerade diese in Bezug zu setzen.
Auf jeden Fall erfährt der Besucher bei der Betrachtung des iberischen Barock mit seinen realistisch-mystischen Leidszenerien, den Glasperlentränen und polychromen Christusdarstellungen, den Engelschören, dem Marienkult, einer überbordenden Ornamentik, ausdrucksstarken Porträts, (etwa Jusepe de Riberas) den Küchenstücken und komplexen theatralischen Tableaus etwas von der Vielfalt und dem mit Holland, Italien und Frankreich verwandt-verschiedenem Kunstsinn der Spanier. So leistet die Exposition auf faszinierende Weise Arbeit am europäischen Bildgedächtnis mit einem furiosen El-Greco-Auftakt. In dem mehr als drei Meter hohen Altarbild »Immaculata Oballe« des gebürtigen Kreters aus dem Jahr 1613 schwingt sich Maria in den Himmel der göttlichen Taube entgegen. Vor allem aber ist es ein Fest der Malerei in prachtvollen Farben.
»El Siglo de Oro. Die Ära Velásquez«. Bis 30. Oktober in der Gemäldegalerie Berlin, Kulturforum, Berlin. Der Katalog erschien im Hirmer Verlag und kostet 39 Euro.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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