Linkspartei setzt auf »linke Unentschlossene«

Wahlstrategie: Ziel ist zweistelliges Ergebnis / Option Regierungsbeteiligung »kann 2017 mobilisieren« / Höhn: Unsere Erzählung ist die der Hoffnung

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

Hoffnung machen auf Veränderung, klare linke Werte und Mitregieren als Option: Die Linkspartei will bei den Bundestagswahlen um »ein zweistelliges Ergebnis« kämpfen und wieder »drittstärkste Fraktion im Bundestag« werden. Mit einem prozentualen Zugewinn beim Ergebnis soll zudem »eine Mehrheit gegen die Union und damit eine Option auf einen sozialen Politikwechsel möglich« werden. Dazu will die Linkspartei vor allem Stammwähler ansprechen »und zugleich um die linken Unentschlossenen« werben, wie es im Entwurf zur Wahlstrategie von Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn heißt, der dem »nd« vorliegt. »Wer heute der LINKEN prinzipiell nahe steht, aber noch nicht weiß, wie er oder sie sich entscheiden wird, muss überzeugt werden.«

16 Prozent aller Wahlberechtigten können sich derzeit vorstellen, die Linkspartei zu wählen. In Umfragen steht sie derzeit bei Werten um 9 Prozent. Höhn sieht da noch Spielraum - deshalb soll die Linkspartei nach dem Willen des Wahlkampfleiters »fünf Gründe« für eine Stimme liefern. Es gehe unter anderem darum zu zeigen, »dass sie ihre Politik durchsetzen will«. Noch nie habe eine Partei links von der SPD einer Bundesregierung angehört. Die Linke stehe nun »nicht nur bereit«, sondern wolle »einen Regierungswechsel, um linke Politik durchzusetzen«. Mit dieser Ansage setze man auf »einen politischen Effekt«, der »provoziert«, heißt es in dem Papier. Mitregieren als Option könne »2017 mobilisieren, vor allem im Osten«.

Rote Haltelinien und linke Reformprojekte

Ein »machbares linkes Reformprogramm« verstehe man dabei »als Einstieg, als einen ersten Schritt auf dem Weg in eine bessere, menschlichere Gesellschaft«. In dem Entwurf zur Wahlstrategie wird zugleich auf die »Mindestbedingungen für Regierungsbeteiligungen« verwiesen, in der unter anderem die Ablehnung von Kampfeinsätzen der Bundeswehr, Sozialabbau, Privatisierung und das Nein zu einer Verschlechterung der Daseinsvorsorge als »rote Haltelinien« festgeschrieben sind. »Unser Grundsatzprogramm gilt«, so die Wahlstrategie. Man wolle aber zugleich »mit linken Reformprojekten« werben, »die zeigen, dass eine andere Politik möglich ist«.

Das ist auch eine Reaktion auf die verbreitete Ansicht, »die da oben« würden ja ohnehin nichts mehr ändern. Notwendig sei »eine Politik, die Ängsten Hoffnung entgegensetzt, indem große gesellschaftliche Probleme – soziale Unsicherheit, soziale Spaltung der Gesellschaft, Armut, Rente, Mieten - angepackt werden, ohne Solidarität und Humanität aufzugeben«. Die Linkspartei werde sich dafür »mit den Mächtigen« anlegen »und zeigen, dass Veränderung machbar ist. Unsere Erzählung ist die der Hoffnung«.

»Bei den anderen ist alles beliebig«

In der Wahlstrategie findet sich keine Festlegung auf eine Option nach der Wahl - die Partei will sich als Kraft eines linken Politikwechsels zeigen, für die gelte: »Sozial auch nach der Wahl und Druck auf einen linken Politikwechsel – ob in Regierung oder Opposition.« Wer links wähle, bekomme auch linke Politik. »Bei den anderen ist alles beliebig«, heißt es vor allem mit Blick auf SPD und Grüne weiter. Die LINKE sei »die einzige Partei, die weder Merkel noch einen anderen Unionskandidaten wählen wird«.

Sozialdemokraten und Grüne werden in dem Papier als »Konkurrenz« bezeichnet, während Union und AfD als »Gegner« markiert sind. »In Teilen der SPD scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass es inhaltlich und koalitionspolitisch so nicht weitergehen kann«, heißt es in dem Entwurf. »Entschieden ist aber noch nichts, eine sozialdemokratische Gerechtigkeitswende ist vor allem programmatisch überhaupt noch nicht untersetzt.« Fest stehe aber auch, »ohne eine Bündnisoption von SPD und LINKE wird die Union nicht aus dem Kanzleramt verdrängen zu sein«. Bei den Grünen »scheinen jene Kräfte die Oberhand zu haben«, die die Partei »in eine schwarz-grüne Bundesregierung führen wollen«.

Identität und Wertefragen gewinnen an Bedeutung

Wahlkampfleiter Höhn sieht den kommenden Bundestagswahlkampf nicht zuletzt als eine Auseinandersetzung »um politische Orientierung, Vertrauen und Verlässlichkeit«. Angesichts der Verunsicherung und Polarisierung in der Gesellschaft werde die Suche nach »Sinn und Halt in unübersichtlichen Zeiten« eine zentrale Rolle spielen. »Identität und Wertefragen gewinnen an Bedeutung. Auch von links – und gerade im Kampf gegen die Rechten«, so das Papier.

Höhn verweist darin auf das sogenannte »gesellschaftliche Lager der Solidarität«, in dem Menschen mit unterschiedlicher politischer Bindung durch grundlegende Anschauungen verbunden sind - Menschen, die »für bessere Arbeitsbedingungen, gegen prekäre Arbeit, Gängelei in den Job-Centern und für bezahlbare Mieten kämpfen, sich Nazis und Rassisten entgegenstellen und Demokratie verteidigen, Geflüchteten helfen, sich über obszönen Reichtum empören, sich für Klimagerechtigkeit und gerechten Welthandel einsetzen«. Man wolle »die vielen, die sich sozial und kulturell engagieren für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Solidarität und Integration, ermutigen und ihnen eine Stimme geben«. Die Linkspartei stehe »für Weltoffenheit und gegen Rassismus. Wir halten an unseren linken Werten fest«.

Die programmatischen Forderungen der Linkspartei und die inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen progressiven Kräften werden in dem Strategiepapier nicht zuletzt als Beitrag zu einem möglichen Widerlager gegen den fortgesetzten Rechtsruck in Europa betrachtet. »Zerfall des Sozialen und Solidarischen, scheinbar macht- und orientierungslose Politik, eine Welt, deren Krisen näher rücken: Das ist der Nährboden, auf dem die Rechten wachsen«, heißt es da. Die Bundestagswahlen würden »zur Richtungsentscheidung mit Auswirkungen für ganz Europa« - gesellschaftlicher Aufbruch und progressiver Politikwechsel oder Abrutschen noch weiter nach rechts und neue nationalkonservative Wende.

Klammer von sozialen Interessen und linken Werten

Dabei spielen für die Linkspartei natürlich auch klassenpolitische Fragen eine zentrale Rolle. »Es geht um eine Klammer von sozialen Interessen und linken Werten. Was macht uns aus? Wie wollen wir miteinander leben?«, umreißt Höhn das Feld der Auseinandersetzung. Man mache die »Gleichheit aller zum Ausgangspunkt« und unterscheide sich damit sowohl von den Rechtspopulisten als auch von den Neoliberalen. Es gehe um Gerechtigkeit, die entweder für alle gedacht und erkämpft werde - oder die keine ist.

In dem Papier werden »vier gesellschaftliche Entwicklungen« skizziert, die als »Langzeitfolgen neoliberaler Politik« der aktuellen politischen Auseinandersetzung zu Grunde liegen. Entsicherung, Entsolidarisierung, Entmachtung und Entgrenzung. Während die soziale Unsicherheit in den vergangenen Jahren extrem zugenommen habe, zerfalle die Gesellschaft immer stärker in Gewinner und noch mehr Verlierer. »Entscheidungen werden auf nicht demokratisch legitimierte Ebenen verlagert«, zudem lebe man »in einer Welt, deren Krisen gefühlt und real näher rücken«.

Angesichts der wachsenden Frustration über »die Politik« und »die da oben« sei es wichtig und unentbehrlich, »Empörung aufzunehmen«, schreibt Höhn, aber »ebenso wichtig ist es, Perspektiven aufzuzeigen und berechtigte Hoffnung auf Veränderung und Verbesserung zu machen«. Ansonsten werde »aus Empörung Frustration und Resignation über Dinge, die sich angeblich sowieso nie ändern, egal was man wählt«. Dies berge auch die Gefahr, das Protest nach rechts wegrutsche.

Der Entwurf der Wahlstrategie ist am Montagabend an die Vorstandsmitglieder der Linkspartei verschickt worden. Als endgültig wird das Papier ohnehin nicht betrachtet: Die noch anstehenden Wahlen etwa in Nordrhein-Westfalen, auch die Kür einer neuen Bundespräsidentin oder eines Bundespräsidenten und nicht zuletzt die Wahlen in Frankreich seien »von nicht unerheblicher Bedeutung«, heißt es in einer Anmerkung zum Entwurf. »Insofern kann und wird es notwendig sein, die strategische Kommunikation dementsprechend anzupassen und Schwerpunkte möglicherweise neu zu definieren.«

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