Straßenschlachten bei Protesten gegen Arbeitsgesetz
Frankreich: Zehntausende demonstrieren in zahlreichen Städten gegen die beschlossene Arbeitsmarktreform / Polizeigewalt und Verletzte in Paris
Update 17.30 Uhr: Gewerkschaften wollen keine weiteren Protesttage organisieren
Noch während des ersten Protesttages gegen das Arbeitsgesetz nach der Sommerpause kündigte die französische Gewerkschaft Force Ouvrière (FO) an, keine weiteren Protesttage zu organisieren. »Es wird keinen weiteren Zyklus von Demonstrationen geben«, sagte Gewerkschaftschef Jean-Claude Mailly am Donnerstag. Er kündigte an, gegen das Arbeitsgesetz juristische Schritte einleiten und Widerstand auf der Unternehmensebene organisieren zu wollen.
Update 16.35 Uhr: Zwischen 13.500 und 40.000 Demonstranten in Paris
Auch bei der Abschlusskundgebung in Paris kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Offiziell ist die Demonstration beendet, die Krawalle gehen weiter. Auf Twitter gehen Fotos von blutenden Demonstranten und Polizeibeamten herum, auf die ein Molotow-Cocktail geworfen wurde. Der Polizist habe am Bein Verbrennungen erlitten, gab die Polizeipräfektur bekannt. Ein Aktivist wurde von einem Gummigeschoss am Auge verletzt, einer erlitt eine Kopfverletzung. Nach Angaben der Gewerkschaften haben sich 40.000 Menschen an dem ersten Demonstration gegen das Arbeitsgesetz nach der Sommerpause beteiligt, die Polizei spricht von 13.500 Teilnehmern. Zwölf Personen wurden festgenommen, berichtet die französische linksgerichtete Tageszeitung »Libération«.
Update 16.10 Uhr: Auseinandersetzungen in mehreren Städten, Verletzte und Festnahmen
Tausende Gewerkschafter, Studierende und Schüler demonstrierten in mehreren Straßen gegen das bereits beschlossene Arbeitsgesetz. Erste Demonstrationen in Le Havre, Tours und Rennes liefen bereits am Vormittag, teils unter massiver Polizeipräsenz.
In Paris demonstrierten Tausende von der Place de la Bastille zur Place de la République, wo sich die Demokratiebewegung Nuit Debout nach der Sommerpause bereits mehrfach wieder versammelte. Die Menschen riefen »Ni amendable, ni négociable, abrogation de la loi travail«: »Unverbesserlich, noch verhandelbar: Das Arbeitsgesetz zurücknehmen!« Es kam zu teils heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Mindestens zwei Demonstranten wurden verletzt, mehrere festgenommen. Auf die Polizei wurden Molotow-Cocktails geworfen, sie setzte ihrerseits mehrfach Tränengas ein. Beobachter berichten, die Polizei trete Demonstranten und Journalisten. Auch in Toulouse nahm die Polizei sechs Teilnehmer in Gewahrsam.
Frankreichs Arbeitskampf geht weiter
Der Kampf geht weiter: An diesem Donnerstag werden in Paris und weiteren 44 französischen Städten viele Zehntausende Menschen erwartet, die die Annullierung der Arbeitsrechtsreform fordern. Zum 13. Mal seit Jahresbeginn führen die Gewerkschaften damit einen Aktionstag gegen die Reform durch. Die Regierung konnte das Gesetz angesichts der massiven Ablehnung im Parlament und bis tief in ihre eigene Sozialistische Fraktion hinein nur in Kraft setzen, indem sie nach Artikel 49.3 der Verfassung damit die Vertrauenfrage verband und so die eigenen Abgeordneten »disziplinierte«.
Gegen dieses unsoziale und zudem undemokratisch angenommene Gesetz wird nun im öffentlichen Sektor, vor allem in Schulen, bei der Post und der Bahn, sowie in vielen Betrieben landesweit gestreikt. Die zentrale Demonstration in Paris führt vom Bastille-Platz zum Platz der Republik, und an ihrer Spitze schreiten die Vorsitzenden der Gewerkschaftsverbände CGT und FO, Philippe Martinez und Jean-Claude Mailly. Im Gegensatz zur reformistischen Gewerkschaft CFDT lehnen diese Gewerkschaften die Arbeitsrechtsreform nach wie vor ab und können sich dabei laut Umfragen auf die übergroße Mehrheit der Französinnen und Franzosen stützen.
Zu den Initiatoren des Aktionstages gehören neben Lehrer- und anderen Berufsverbänden auch Organisationen von Schülern und Studenten, die sich angesichts der antisozialen Arbeitsrechtsreform Sorgen um ihre Zukunft machen. Sie alle sehen in der Reform ein Einknicken vor den Forderungen der Unternehmer nach immer mehr Flexibilität und Senkung der Lohn- und Nebenkosten. Für die arbeitenden Franzosen wird die Reform eine immer höhere Prekarität bedeuten. So erhalten 85 Prozent der neu Eingestellten zurzeit nur einen befristeten Arbeitsvertrag, und die Unternehmen greifen immer öfter auf Zeitarbeitskräfte oder ausländische Vertragsarbeiter zurück.
Die Arbeitsrechtsreform greift aber auch tief in die Rechte der Gewerkschaften ein, die arbeitenden Franzosen durch Branchenverträge abzusichern. So werden die zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden ausgehandelten Branchenverträge durch Abkommen auf Betriebsebene ausgehebelt, die die Unternehmer z.B. durch die Drohung, Arbeitsplätze abzubauen, leicht durchsetzen können. So können dem Gesetz zufolge bei großem Arbeitsanfall zeitweise Tagesarbeitszeiten von bis zu zwölf Stunden und bis zu 42 Stunden pro Woche vereinbart werden, während die gesetzliche Regelarbeitszeit 35 Stunden pro Woche beträgt.
Auch können durch Abkommen auf Betriebsebene die Überstundenzuschläge von jetzt 25 auf zehn Prozent gekürzt werden. Andererseits ist es möglich, die Beschäftigten bei wenig Aufträgen zu zwingen, vorzeitig Urlaub oder durch Mehrarbeit angefallene freie Tage zu nehmen bzw. Kurzarbeit zu akzeptieren. Die Gewerkschaften protestieren in diesem Zusammenhang auch gegen Versuche, ihre Rechte in den Betrieben einzuschränken und unbequeme Belegschaftsvertreter, die eigentlich speziell geschützt sind, unter konstruierten Vorwänden zu entlassen. Sie verbinden den Kampf gegen die Arbeitsrechtsreform mit Forderungen nach mehr Mitspracherechten in den Unternehmen, gegen die fortgesetzte Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, nach gleichen Löhnen für Frauen und Männer und gegen die schrankenlose Ausweitung von Nacht- und Wochenendarbeit.
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