Schmuggel ist Knastalltag

Schiebereien von Beamten und Häftlingen in der JVA Tegel sind symptomatisch

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 2 Min.

Justizvollzugsbeamte des Männergefängnisses Tegel sollen seit Jahren in großem Stile Waren aus den Gefängniswerkstätten hinaus gebracht und auf eigene Rechnung verkauft haben. Zur Schmuggelbande in Deutschlands größtem Männerknast sollen auch Häftlinge im sogenannten Fahrdienst gehört haben. Diese Vorwürfe erhoben zwei Gefängnisinsassen vor den Kameras des ZDF-Politmagazins »Frontal 21«. Die Sendung wurde letzte Woche ausgestrahlt.

Aber auch in die andere Richtung soll geschmuggelt worden sein: Auf Bestellung habe die Fahrtruppe den Häftlingen »Handys, besseres Essen oder mal ein paar Pornos« mitgebracht. 70 Euro habe so ein Wunschpaket gekostet, erzählen die beiden Männer, im Fernsehvideo Timo F. und Benjamin L. genannt. Von ihren Mithäftlingen werden sie nun als »Anscheißer« beschimpft. Gegen mindestens einen Vollzugsmitarbeiter ermittelt jetzt der Staatsanwalt: »Verdacht der Bestechlichkeit« und »Erpressung« lauten die Vorwürfe.

»Routine oder Einzelfall?« fragt die traditionsreiche Gefangenenzeitung »Lichtblick« in einem »Extrablatt« zu den Tegeler Vorfällen. Während die Sprecherin des Justizsenators, Claudia Engfeld, das »wirklich nicht entschuldbare Verhalten eines einzelnen Beamten« konstatiert, interpretiert »Lichtblick« die Tegeler Geschäfte eher als Regel, denn als Sonderfall: »Gefangene und Beamte, die hier sauber bleiben und nicht die Chance nutzen, was zu drehen, sind eher die Ausnahme.«

Den Schmuggel sehen sie als Symptom eines kranken Justizapparates: »Überstunden, Aufgabenanhäufung, ein Dienstherr, der ihnen bei Problemen in den Rücken fällt, und zu guter Letzt die bescheidene Bezahlung« der Beamten trügen zu personellem Notstand bei. Die miesen Bedingungen müssten die Gefangenen dann ausbaden in Form gekürzter Besuchszeiten, reduzierter Ausführungen und gestrichener Freizeitangebote. Auf beiden Seiten wachse der Frust und münde in Aggressivität gegenüber den Bediensteten. »In den meisten Fällen die falsche Adresse«, schreibt der anonyme Autor des »Lichtblicks«.

Auch Oliver Rast von der Gefangenengewerkschaft BB/GO sieht in dem Tegeler »Skandal« keinen Einzelfall: »Die uns vorliegenden Ausführungen des Hauptbelastungszeugen Timo F. legen nahe, dass es sich um ein organisiertes Netzwerk von 20 bis 30 Bediensteten handelt«, erklärt Rast gegenüber »nd«. Ihn überrascht die Schmuggelwirtschaft keineswegs, vielmehr gehöre sie in allen Haftanstalten zum Alltagsgeschäft. In der jetzt durch die Fernsehsendung losgetretenen öffentlichen Debatte um Schmuggel und Hehlerei im Knast kommt dem Gewerkschafter Rast jedoch ein Aspekt zu kurz: die Ausbeutung von Häftlingen in der »Billiglohninsel Knast«.

Seine Gefangenengewerkschaft hatte übrigens erst am vergangenen Wochenende den Fritz-Bauer-Preis der Humanistischen Union entgegennehmen dürfen. Die Menschenrechtsorganisation will damit auch auf die dringende Reformbedürftigkeit des deutschen Strafvollzugswesens hinweisen, so ist auf ihrer Homepage nachzulesen.

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