2029 in Schleswig-Holstein und der globalisierten Welt

Ewart Reder: Sein Roman «Reise zum Anfang der Erde» handelt von Selbstfindung und Träumen

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Mensch ist seinem Wesen nach keine Wüste, sondern ein Baum, der wandert, sich aufmacht, mit seinen Worten als Wurzeln, um anderswo heimisch zu werden, mit anderen etwas Neues zu schaffen.« Diese Worte Muepu Muambas, eines im deutschen Exil lebenden Journalisten aus dem Kongo, hat Ewart Reder ans Ende seines Romans »Reise zum Anfang der Erde« gesetzt. Hier seien sie zu Beginn zitiert, weil sie das Fazit und die wichtigste Aussage des Buches enthalten.

Darum geht es: Menschen verlassen den heimatlichen Boden trügerischer Sicherheit, sie machen sich auf, wollen anderswo heimisch werden, finden Gleichgesinnte und versuchen, mit ihnen gemeinsam Neues zu schaffen - unter Umständen auch Altem, Bewährtem wieder neuen Wert zu geben. Das ist ein Wagnis, ein Abenteuer, es bedarf des Mutes zum Experiment und zu ungewöhnlichen Formen des Miteinanderlebens und Miteinanderumgehens.

Aufbrechen, Weggehen, Unterwegssein. Wanderungen bestimmen die moderne globalisierte Welt. Wenn das auch die Grundierung des Romans ist, so geht es Ewart Reder doch zuerst einmal vorrangig um die Selbstfindung und Selbstbehauptung einzelner Individuen in der Gemeinschaft. Unter Umständen misslingt das auch und erfordert Neuanfänge. In einem verwirrenden Geflecht von Episoden und erotischen Begegnungen verdeutlicht das der Autor. Seine überbordende Phantasie und die sprudelnde, bisweilen etwas manierierte Sprache beziehen den Leser mit ins Geschehen ein und machen ihn zum Voyeur.

Die Verlegung der Handlung in die - wenn auch nahe - Zukunft und das Gleiten am Ende aus der Realität in eine Utopie, ermöglichen dann doch wieder Distanz zu den drastisch geschilderten Ereignissen des Jahres 2029.

Am Holsteiner Wittensee nahe dem Nord-Ostsee-Kanal haben sich Männer und Frauen allen Alters, zumeist Arbeitslose, zu einer Landkommune zusammengeschlossen. Diese Selbsthilfegruppe mit dem Namen ZUSAMMEN=ARBEIT (sprich: Zusammen ist gleich Arbeit) versorgt sich durch eigene Landwirtschaft und handwerkliche Arbeiten.

So unterschiedlich die einzelnen Mitglieder sind, so eint sie doch ein wichtiges Anliegen: Sie wollen die drohende Abholzung des Schleswig­Holsteiner Waldes durch einen international agierenden Rohstoff-Fonds verhindern.

Neun der Mitglieder und ihre Aktivitäten lernen wir kennen, von denen wiederum vor allem vier Personen sich untereinander in erotische Beziehungen verstricken. Da ist der ehemalige Schiffbauingenieur Heinrich, Gründer, Kopf und Herz der Kommune. Da ist seine wesentlich jüngere brasilianische Ehefrau Elda. Neu in die Gemeinschaft aufgenommen werden Paul, ein arbeitsloser Investmentbanker, und die lebenslustige Berit, die »ein Nomadenherz« hat. Dass zwei Chinesen, Bin und Wang. als dubiose »Rahmenfiguren« mitmischen, muss noch erwähnt werden, weil sie sich am Ende als wichtig für den Verlauf der Handlung entpuppen.

Das Verwirrspiel beginnt, und da der Autor von Anfang an das Kommune-Leben unter den Begriff »Epilog« stellt, können wir es als »Endspiel« betrachten. Ewart Reder lässt jedoch all den verknäulten Aktionen und Liebesspielen unverhofft einen zweiten »Epilog«, eine grandiose Idee, folgen. Die Kommunarden verlassen nämlich den festen norddeutschen Boden, sie kapern einen ausgemusterten Luxusliner und fahren mit diesem Traumschiff (das man auch als Arche Noah deuten kann) in ein Sehnsuchtsland in Afrika.

Modell für Ewart Reders Landkommune lieferten offensichtlich die (zumeist gescheiterten) Achtundsechziger-WGs. Aber die Erde hat sich weitergedreht, die globale Welt ist härter geworden, utopische Ziele sind ferner denn je.

So lässt der Autor nicht nur die Kommune scheitern. Der paradiesische Neuanfang in Afrika findet zunächst erst einmal nur auf einer Filmwand im Schiffsbauch statt. »Rückwärts hat das Leben eine Zukunft«, heißt es einmal. Alles andere steht in den Sternen oder liegt in der Hand chinesischer Investment-Banker. Wer weiß das schon?

Ewart Reder: Reise zum Anfang der Erde. Die Geschichte der Zusammen=Arbeit. Roman. Axel­Dielmann-Verlag, 364 S., geb., 22 €.

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