Rot-Rot-Grün: Überstunden, aber nichts Unüberwindbares
SPD und Linkspartei sondieren / Lederer pocht auf neuen Regierungsstil: Kein Projekt »Sozialdemokratie plus X« / Erste Gerüchte über Ressortverteilung
Berlin. Es hat länger gedauert als zunächst angesetzt, aber das kann man in diesem Fall als ein gutes Zeichen deuten - jedenfalls für eine Zusammenarbeit von SPD und Linkspartei in der künftigen Stadtregierung von Berlin. Nach zweieinhalb Stunden gaben Regierungschef Michael Müller von der SPD und Linkenchef Klaus Lederer einen Zwischenstand. Man habe zunächst über neue Kommunikationsstrukturen gesprochen, das war der Linkspartei wichtig. Und über die Finanzen der Hauptstadt, das wollte die SPD. Bei letzterem gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Während die SPD den Zweiklang aus Investitionen und Schuldentilgung beibehalten will, setzt die Linkspartei angesichts niedriger Zinsen die Priorität auf Investitionen. »Es ist aber klar, dass wir die Stadt nicht harakirimäßig neu verschulden«, betonte Lederer.
Müller wie Lederer sagten, es gebe viele Gemeinsamkeiten, man müsse sich aber erst einmal gemeinsam in die Themen hineinfinden. Am Abend ging es dann weiter mit den Themen Bildung, Innere Sicherheit und Wohnungspolitik.
Die Botschaft der ersten Sondierungsrunde: Es könnte klappen, es gibt keine unüberwindbaren Differenzen. Bei der Linkspartei weiß man, dass es »kein leichter Ritt« werden wird, aber Lederer sprach am Mittwoch von »Korridoren«, die den Raum für mögliche Einigungen beschreiben. »Wir brauchen eine Idee, einen Plan, um die Lebensbedingungen der Menschen spürbar zu verbessern«, so Lederer. Dazu muss sich einiges ändern. Das weiß auch die SPD und Müller wurde mit den Worten zitiert: »Wir wollen nicht einfach alles so weiterführen.«
Ein für die Linkspartei entscheidender Punkt ist am Mittwoch auch bereits angesprochen worden - mit Folgen: Er habe »dazugelernt«, sagte Müller mit Blick auf die Frage, wie man in einer möglichen Regierungsarbeit anders praktisch die Entscheidungsprozesse und die Beteiligung von Parteien und Fraktionen gestaltet. Das Stichwort lautet kooperativer Regierungsstil. Die Linkspartei würde ein Projekt »Sozialdemokratie plus X« nicht mitmachen. »Der Koalitionsausschuss sollte nicht nur im Konfliktfall zusammenkommen«, so wird Müller nach der Sondierung zitiert. Vielmehr solle dieses Gremium dem »frühzeitigen Austausch dienen, ohne dass es erst zu Eskalationen kommt«. Das gilt auch für das Verhältnis von Stadtgesellschaft und Stadtregierung. Die Linkspartei will die Bürgerbeteiligung ausbauen, die SPD ist hier eher reserviert und verweist auf bestehende Möglichkeiten, die besser genutzt werden sollen. Auch die Transparenz von Regierungshandeln ist der Linken ein wichtiges Anliegen. »Da haben wir uns nicht gleich umarmt«, hieß es bei Lederer nach der ersten Sondierung, bei der dieses Thema auch zur Sprache kam. Klar ist aber: Engagierte Bürger dürfe man nicht als »Feinde« betrachten, auch wenn diese Vorhaben und Kritik gegen die Senatslinie mobilisieren. Auch das Wahlergebnis - für die SPD historisch schlechte 21,6 Prozent, für die Linkspartei 15,6 Prozent - sei analysiert worden, sagte Lederer. Man habe darüber gesprochen, wer sich in Berlin von der Senatspolitik nach wiedergegeben fühle.
Derweil machen erste Gerüchte über die künftige Stadtregierung die Runde. Das Boulevardblatt »B.Z.« berichtet, in der SPD liege bereits eine Festlegung auf die neue Verteilung der Senatsressorts vor. Laut dieser Meldung soll die SPD die Ressorts Finanzen, Bauen, Inneres und Arbeit erhalten. Die Grünen würden demnach Wirtschaft und Wissenschaft, Justiz sowie Gesundheit und Soziales bekommen - und die Linkspartei erhielte Bildung sowie Verkehr und Umwelt. Offen sei, ob das Kulturressort wie bisher direkt beim Regierenden Bürgermeister angesiedelt bleibt - oder ob die Linkspartei dafür ein eigenes Senatsressort erhält.
Dass die Linkspartei als drittstärkste Kraft in Berlin weniger Landesministerien führen soll als die viertplatzierten Grünen, ist freilich unwahrscheinlich. Und dass Lederer ein eigenständiges Ressort fordert, ist auch bekannt: Eine Kulturpolitik, »die sich allein auf steigende Etats und die reibungsarme Verwaltung des Status quo konzentriert, wird der Bedeutung von Kultur für die Entwicklung Berlins bei Weitem nicht gerecht«, hatte er in einem Gastbeitrag für den »Tagesspiegel« geschrieben. »Berlin braucht eine integrierende Kulturpolitik, die auf soziale Herausforderungen reagiert, den Metropolencharakter der Gesamtstadt ebenso im Blick hat wie die kulturelle Basis in den Bezirken.« Dazu brauche man ein eigenständiges Landesministerium.
Am Donnerstag spricht die SPD mit den Grünen. Zuvor hatte sie am Mittwoch schon Gespräche mit der CDU geführt. Mit der Union gebe es nach fünf Jahren gemeinsamer Regierung sowohl Trennendes wie Verbindendes, sagte Müller. Eine Strichliste, was überwiege, habe er nicht geführt. Deutlich auseinander seien die Parteien bei den Themen Bildung und Energie. CDU-Chef Frank Henkel betonte die gute Atmosphäre. »Wir sind aber auch realistisch genug, unsere Chancen einschätzen zu können«, sagte er. Die CDU, die unter anderem mit der möglichen Henkel-Nachfolgerin Monika Grütters antrat, signalisierte auch Kompromissbereitschaft bei gesellschaftspolitischen Debatten wie über die Homo-Ehe. vk/mit Agenturen
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