Vater Collage

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Mittwochabend, ich will einfach nur fernsehen, bis in die Puppen. Weil ich am Donnerstag unverhofft frei haben werde. Ausschlafen, besagt der neue Dienstplan, dafür habe ich Verständnis.

Losgehen soll es mit der Berliner Abendschau, der Wundertüte für Piefkes. Doch ich bekomme nur das Wenigste mit, denn ich köchele in der Küche vor mich hin, sitze dort noch am Tisch und esse, als in der Tagesschau mitgeteilt wird, dass die Hartz-IV-Erhöhungen kaum der Rede wert sind. Noch habe ich Arbeit und komme selten dazu, das Geld auszugeben. Auch in den eigenen vier bis 20 Wänden springt mich die Arbeit von überall an, denn ich habe die Wohnung gemalert und nun sieht es im kleinen und im großen Zimmer aus wie bei Hempels, rund um deren Sofa.

Aus einem Film ab 20 Uhr 15 wird nichts. Es bietet sich an, noch ein bisschen zu räumen und zu sortieren. Nur alles an seine bisherige Stelle zu schieben, wäre zu einfach, die Wohnung muss neu gestaltet werden. Platz schaffen, zwecks freier Entfaltung in naher Zukunft. Oh, die Kunst ruft! Der große Schrank steht nun auf dem schmalen Korridor, ein Berg wurde schon versetzt. Doch die alten Dübel nutzen für das Regal an neuer Stelle nichts.

Gebohrt wird zur besten Fernsehzeit nicht, auch wenn ich von selbiger noch nichts habe. Hier und da lagert ein Stapel Bücher, CDs oder Musikkassetten. Ich kriege die Tür nicht zu, beginne mit dem Sortieren alter Sammelbilder. Wilde Kerle, Frauen-Fußball-WM, Alba, Eisbären und irgendwas Japanisches. Herren-Bundesliga sowieso. Zwei Eintrittskarten vom Frauen-Fußball-Championsleague-Halbfinale, Potsdam gegen Duisburg, und dann die vielen kleine Ü-Ei-Figuren. Eigentlich kann alles weg, sagt mein Thronfolger, aber man könnte die Bilder auch in Collagen einbasteln und von den Figuren immer einige in der Hosentasche mit sich führen, um einen auf Straßenkünstler zu machen. Ich werfe von all den schönen Staubfängern nur die Hälfte in den Müll. Noch hält Vater Collage seine Messi-Meise im Käfig gefangen.

Das Sortieren dauert aber, mein lieber Scholli, ich drehe vom Fernseher den Ton weg, verstehe ohne Bilder ja kaum was, und lege Musik auf; auch im Gedenken an den Tag, der für die neue Einordnung der Schallplatten draufging. Na und, so ist das Leben, und zwar schön.

Um 22 Uhr 15 habe ich die Faxen dicke, will nicht weiter in der Hocke kleine Kreise drehen, sondern endlich fernsehen. Im ZDF beginnt das Auslandsjournal, eine gute Sendung, die ich zu selten sehe, bei der ich nie einschlafe. Das liegt an diesem Mittwochabend auch daran, dass ich um 22 Uhr 30 auf ARD umschalte, zwecks meiner favorisierten Seifenoper, der Fußballbundesliga. München gegen Hertha, Leipzig gegen Gladbach, das rockt. Bei Schalke gegen Köln schalte ich die Glotze aus, habe genug gesehen. Gute Nacht.

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