Linkenchefin Bluhm gewinnt Vertrauensabstimmung
Landesparteitag nach der Wahlschlappe im Nordosten / Holter kritisiert zu geringe Unterstützung von Teilen der Partei im Wahlkampf / Bartsch: Wir sind Protestpartei gegen die herrschenden Verhältnisse
Update 18 Uhr: Linken-Chefin Bluhm gewinnt Vertrauensabstimmung
Heidrun Bluhm bleibt Parteichefin der Linken in Mecklenburg-Vorpommern. Bei einer Vertrauensabstimmung auf dem Parteitag der Linken in Güstrow stimmten am Samstag 68 Delegierte für und 21 gegen sie. Vier Delegierte enthielten sich. Die 58-Jährige Bluhm hatte zuvor angekündigt, im Herbst 2017 nicht wieder für den Landesvorsitz zu kandidieren. »Ich als Vorsitzende dieser Partei trage die Hauptverantwortung für dieses Wahlergebnis, das uns alle so sehr schmerzt.« Um das Jahr bis zu dem Wechsel und zur Bundestagswahl gestalten zu können, hatte sie die Vertrauensabstimmung gefordert.
In ihrer gut 40-minütigen Rede sprach Bluhm von der Notwendigkeit zur Erneuerung der Partei. Die Linken hatten bei der Wahl nur 13,2 Prozent der Stimmen erhalten - ein historisches Tief. »Ein ›Weiter so‹ kann es für uns ganz sicher nicht geben«, sagte Bluhm. Die Lage der Partei sei ernst, aber noch nicht existenzbedrohend. Die Partei befinde sich allerdings im Findungsprozess. Alle etablierten Parteien müssten überlegen, wie sie einen neuen Dialog mit den Bürgern organisieren können.
Nach der teils heftigen Kritik nach der Wahl an Partei- und Fraktionsführung blieb die Versammlung in Güstrow weitgehend ohne scharfe oder gar laute Töne. Der bisherige Linksfraktionschef Helmut Holter kritisierte eine zu geringe Unterstützung von Teilen der Partei im Wahlkampf. Er forderte von den Linken, künftig wieder mehr auf die Straße zu gehen. »Weniger Konferenzen brauchen wir«, sagte Holter. Der 63-Jährige kündigte an, am Dienstag erneut für den Vorsitz seiner Fraktion zu kandidieren. »Bei schwerer See verlässt kein guter Kapitän die Brücke.« Erst wenn das Schiff wieder in ruhigem Fahrwasser sei, werde er die Brücke verlassen.
Der Linken-Fraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, betonte, dass die Linken eine sozialistische Partei seien. »Wir sind eine Protestpartei gegen die herrschenden Verhältnisse. Das werden wir uns auch nicht nehmen lassen.« Die Stärke der Linken sei, nach Niederlagen immer wieder aufgestanden zu sein. Das Signal des Parteitags von Güstrow müsse sein, dass die Partei das Wahlergebnis zur Kenntnis genommen habe. »Wir sind trotzdem eine stolze und selbstbewusste Partei und wir werden dafür kämpfen, dass wir schon im nächsten Jahr diese Scharte versuchen auszubessern«, sagte Bartsch.
Angelika Gramkow, die am vergangenen Sonntag in einer Stichwahl die Oberbürgermeisterwahl in Schwerin verloren hatte, forderte in einer emotionalen Rede den engen Kontakt zu den Bürgern auf der Straße. »Wir müssen erfahren, was sie so enttäuscht hat.« Dies gelte für die Partei im Land wie für sie persönlich in Schwerin. »Ich bin überzeugt, dass die Linke genauso im Nebel stochert wie ich.«
Nach der Schlappe: Nordost-Linke tagt
Berlin. Nach der deutlichen Niederlage bei den Landtagswahlen kommt die Linkspartei am Samstag in Güstrow zu einem Parteitag zusammen. Dabei wird mit Spannung erwartet, in welchem Umfang die 120 Delegierten die Partei- und Fraktionsspitzen für den Verlust von 5,2 Prozentpunkten verantwortlich machen. Ab 10 Uhr werden die Beratungen im Bürgerhaus der Stadt in einem Livestream übertragen.
Die Linkspartei hatten nur 13,2 Prozent der Stimmen erhalten - und damit ein historisches Tief. Sie waren vom Wahlsieger Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) zwar zu Sondierungsgesprächen eingeladen worden, dieser hatte aber letztlich dem bisherigen Regierungspartner CDU der Vorzug für die Koalitionsgespräche gegeben.
Nun steht die Partei nach Ansicht ihrer Parteichefin Heidrun Bluhm vor einem umfassenden Generationswechsel, eine personelle Erneuerung sei unumgänglich. »Wir alle müssen Platz machen für die Generation nach uns«, sagte sie jüngst der Deutschen Presse-Agentur. Sie legte jedoch keinen Zeitplan für den Personalwechsel vor. Dagegen hatte der bisherige Fraktionschef Helmut Holter bereits angekündigt, erneut für den Vorsitz kandidieren zu wollen. Die Neuwahl des Führungsgremiums im Landtag ist für den kommenden Dienstag terminiert.
Immer wieder waren Genossen in den vergangenen Tagen auf deutliche Distanz zur Partei- und Fraktionsspitze gegangen. Sie schrieben die beiden Parteimitglieder Roy Rietentidt und Falk Koop auf Facebook, dass die Linkspartei im Nordosten die Menschen nicht mehr erreiche und ihre Politik nicht mehr als echte Alternative wahrgenommen werde. Auch der frühere Linken-Landeschef Steffen Bockhahn hatte einen Neubeginn gefordert. Der Absturz der Partei sei existenzbedrohend. Um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden und den eigenen Ansprüchen wieder gerecht werden zu können, müsse die Partei vieles verändern.
In der Linkspartei waren nach der Wahl Stimmen laut geworden, die den rot-roten Kurs für die Niederlage verantwortlich machen. Dieser habe dazu geführt, dass »unsere Politik nicht als eine echte Alternative wahrgenommen wird«, heißt es in der unter anderem in Sozialen Netzwerken geführten Diskussion. Holter wird als mitverantwortlich für den Verlust an Glaubwürdigkeit genannt. Die frühere Landesministerin Marianne Linke warf der Landesspitze vor, im Wahlkampf zu schonend mit den regierenden Sozialdemokraten umgegangen zu sein. In Richtung des Parlamentsgeschäftsführers Peter Ritter heißt es bei Linke, dieser habe wie Holter am Wahlabend erklärt, »mit der SPD sozialdemokratische Regierungsarbeit leisten« zu wollen. Ritter selbst wies das als »Schwachsinn« zurück.
Die Regierungsfrage ist schon länger umstritten. Dass eine Nachwahl-Debatte darum zu kreisen beginnt, ist bei der Linkspartei keine Überraschung. In der Analyse des Landesvorstands wird unter anderem auf die »schwierigen Ausgangsbedingungen« abgestellt – die stark bundespolitische zugeschnittene Debatte, die vor allem auf die Frage der Asylpolitik gerichtet war, die fehlende Wechselstimmung und eine widersprüchliche Bewusstseinslage, die zwischen hoher Zufriedenheit mit den persönlichen wirtschaftlichen Lebensumständen und grassierenden Zukunftsängsten pendelt.
Die Linkspartei habe sich »gewissermaßen in einer Sandwich-Position« befunden, weder als Regierungspartei wirklich Erfolge vorweisen zu können, noch als Folie für Protest und Frustration dienen zu können, weil man selbst zu den etablierten Parteien gerechnet wird. »Politische Alternativen werden nur in geringem Maße diskutiert und in keinster Weise umgesetzt. In diesen Sog gerät auch DIE LINKE, die weder über die Ressourcen noch über die öffentliche Aufmerksamkeit verfügt, um dies zu kompensieren.« Zur Abwanderung von früheren Wählern zur Rechtsaußenpartei AfD heißt es, »auch für Teile der WählerInnenschaft der LINKEN gilt, es gibt Vorbehalte im Zuge der Flüchtlingspolitik«.
Schon in der ersten Wahlauswertung wird »ein Erneuerungsprozess« angemahnt, »der eine Antwort auf die Frage gibt, wer unsere WählerInnen der Zukunft sind«. Wie in anderen ostdeutschen Ländern ist die Linkspartei vom Aussterben ihres älteren Wählerklientel immer stärker betroffen. Sie erreicht hier zum Teil bessere Werte bei Jüngeren – allerdings nicht in dem Maße, wie dies am vergangenen Sonntag in Berlin gelungen ist. Zudem, heißt es darin weiter, überzeuge man »offenkundig die Bevölkerung nicht damit, dass wir tatsächlich etwas ändern wollen und können. Lediglich ein Drittel traut uns dieses zu.«
Landesparteichefin Bluhm verteidigte vor diesem Hintergrund die Strategie, die seit zehn Jahren in Mecklenburg-Vorpommern regierende Große Koalition abzulösen und für einen Politikwechsel sorgen zu wollen. Auch wenn die Sozialdemokraten sich nun anders entschieden hätten, müsse sich jeder, der das kritisiert, die Frage stellen, ob die Linkspartei grundsätzlich auf Regierungsbeteiligungen verzichten und warten wolle, »bis das gesamte System so marode« sei, dass sie die Macht übernehmen könne. »Dann«, sagt Bluhm, »müssen wir wohl 100 Jahre warten.«
Der Rostocker Sozialsenator Bockhahn sagte, »wir haben in den letzten Jahren nicht alles falsch gemacht. Aber Vieles war nicht richtig. So ernst ist die Lage.« Mit Blick auf die unterschiedliche Ergebnisse in Städten und auf dem Land müsse eine Entscheidung getroffen werden. »Entweder findet der Landesverband mit der Fraktion und den kommunalen AkteurInnen Mittel und Wege, um auch jenseits der größeren Städte wieder erlebbar zu sein oder man entscheidet sich dafür, künftig eine Partei zu sein, die aus den Zentren heraus agiert«, so Bockhahn. Die Linkspartei sei nach dem Ausscheiden der Grünen aus dem Landtag künftig die einzige demokratische Opposition, diese »Rolle der doppelten konstruktiven Opposition« müsse angenommen werden. Bei der Auswahl der Schwerpunktthemen wirbt Bockhahn für »eine glaubwürdige Verbindung zur sozialen Gerechtigkeit und eine klare gesellschaftspolitische Haltung«. Letztlich müsse »sich der Landesverband mitsamt seiner Fraktion fragen, ob ein Neuanfang mit altem Personal glaubhaft möglich ist«. tos/mit Agenturen
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