Von Mördern und Monstern

64. Internationales Filmfestival San Sebastian

  • Jone Karres Azurmendi
  • Lesedauer: 3 Min.

Düstere Dramen und brutale Szenen dominierten die Leinwand, boten radikales Kontrastprogramm zum mondänen Ambiente des 64. Internationalen Filmfestivals im idyllischen San Sebastian. Die ehemals königliche Sommerresidenz konnte im Jahr der Europäischen Kulturhauptstadt mit stolzer Starpräsenz aufwarten, die Geschichten waren allerdings schwere Kost.

Es gab wirklich nichts zu Lachen in diesem Jahr. Während Sigourney Weaver und Ethan Hawk den Donostia-Preis für ihr Lebenswerk entgegen nahmen, Hugh Grant, Jennifer Connelly und Monica Bellucci auf dem roten Teppich des Maria Cristina Hotels spazierten, liefen in den Kinos sinnlose, brutale Gewalt oder apokalyptische Endzeitszenarien mit animierten Monstern, die an Godzilla erinnerten. Zum Thema Gewalt gab es gar eine eigene Retrospektive: »The Act of Killing«.

Der für einen Oscar nominierte J. A. Bayona (»The impossible«) erzählt mit »A Monster Calls« eine rührende und gleichsam tiefgründige Geschichte über einen kleinen Jungen, der den baldigen Tod seiner krebskranken Mutter akzeptieren muss. Das Monster in Form eines riesigen Baumes entführt ihn in eine phantasievolle Welt und konfrontiert ihn letztendlich mit seinen tiefsten Verlustängsten. Es ist eine brillant animierte Geschichte, die mehr als einem Zuschauer Tränen entlockte. Auch in »Colossal« kreiert Nacho Vigalondo Monster, die durch die eigene psychische Befindlichkeit und Traumata ins Leben gerufen werden. Allerdings provozierte diese Geschichte durch exzessive Spezialeffekte und chaotisches Drehbuch eher Langeweile.

Viel spannender waren zwei spanische Beiträge im Wettbewerb, die mit schwarzem Genrekino die soziale Realität des Landes zeichnen. Im Thriller »Smoke and Mirror« schildert Alberto Rodriguez mit packenden Rhythmus die fast unglaubwürdige aber wahre Geschichte des Betrügers Francisco Paesa, der in den 1990er Jahren den großen Coup landete und seither spurlos verschwunden ist. Zu offensichtlich sind in diesem Film die Parallelen zur gegenwärtigen politischen Landschaft Spaniens - einem Land, das pikareske, kriminelle Handlungen der Mächtigen insgeheim bewundert. Korruption ist Dauerthema, was ironischerweise im aktuellen Wahlkampf um die scheiternde Regierungsbildung bis zur Erschöpfung von eben jener politischen Schicht angeprangert wird, der das Land die korrupten Verhältnisse zu verdanken hat. Hauptdarsteller Eduard Fernandez gewann die Silberne Muschel.

Im »May God save us« von Rodrigo Sorogoyen ist der Kommissar einem Serienkiller auf der Spur, der es auf alte Frauen abgesehen hat. Die Geschichte spielt im Sommer 2011, als Tausende von Bürgern aller sozialen und Schichten der Kragen platzte und sie beschlossen, wochenlang den Hauptplatz Madrids Puerta del Sol zu besetzen, um eine sozial gerechtere Politik zu fordern.

Bertrand Bonello, der in Cannes aufgrund seines polemischen Beitrags »Nocturama« abgelehnt wurde, erzählt darin die mysteriöse und präzise Gesichte einer Gruppe Jugendlicher, die offenbar einen Masterplan verfolgen. Sie verschanzen sich in einem Einkaufszentrum, kurz darauf explodieren mehrere Bomben in Paris. Mit erstaunlich sorgloser Langeweile schlagen sie die Zeit tot, während es draußen brennt. Bonello beschreibt die Agonie mit einer Langsamkeit, die sich ins Unendliche zu ziehen scheint.

Die Goldene Muschel gewann gegen alle Erwartungen der chinesische Beitrag »I am not Madame Bovary« von Xiaogang Feng. der Jurypreis Ex Aequo ging an »The Winter« von Emiliano Torres und den schwedischen Beitrag »The Giant« von Johannes Nyholm. Mit innovativen Beiträgen war der einheimische Baskische Film in der Filmreihe Zinemira vertreten. Die Themen sind vielfältig, erzählen vom Ende des ETA-Terrorismus, Euthanasie, Obdachlosigkeit. Engagiertes Kino einer neuen Generation, die noch von sich hören lassen wird.

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