Heilsame Lügen

Im Kino: »Frantz« von François Ozon

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Quedlinburg im Jahre 1919. Die junge deutsche Republik hat an den Folgen des verlorenen Weltkriegs zu laborieren. Familien trauern um ihre Söhne, Kriegsversehrte bevölkern die Straßen, während Veteranen in den Wirtshäusern ihre Schmach über die Niederlage mit reichlich Bier herunterspülen und über Franzosen lästern. Die junge Anna (Paula Beer) wiederum legt regelmäßig Blumen am Grab ihres gefallenen Verlobten Frantz nieder. Sie wohnt bei den Eltern des Toten, dem Arzt Dr. Hoffmeister (Ernst Stötzner) und seiner Frau Magda (Marie Gruber). Doch bald besucht auch ein Fremder Frantz’ Grab.

Von den Einheimischen argwöhnisch betrachtet, weil er Franzose ist, sucht der junge Adrien (Pierre Niney) Kontakt zur Familie Hoffmeister. Der Mediziner weist ihn zunächst ab, doch Adrien lässt sich nicht abwimmeln und erzählt, dass er ein Freund des frankophilen Frantz vor dem Krieg gewesen sei. Das rührt die Hoffmeisters, die Adrien immer mehr in ihr Herz schließen und dem jungen Musiker zum Zeichen ihrer Wertschätzung sogar die Geige des Verstorbenen zum Vorspiel in die Hand drücken. Anna dagegen hegt allmählich romantische Gefühle für den jungen Franzosen. Doch der vom Krieg ebenfalls traumatisierte Adrien scheint etwas zu verbergen. Als er sich Anna offenbart, obliegt ihr die Verantwortung, mit dem Geheimnis umzugehen.

Mit »Frantz« hat der französische Regiemeister François Ozon das wenig bekannte Drama »Broken Lullaby« (1932) von Ernst Lubitsch adaptiert. Auch jener Film verhandelte ein Dilemma: Ist es ratsam, die volle Wahrheit aufzudecken, wenn man Wunden dadurch nicht heilt, sondern eher vertieft? In »Frantz« kommt die Wahrheit zwar ans Licht, doch Anna deckelt sie - aus Selbstschutz und aus einem Gefühl der Fürsorge heraus.

Ozon erzählt, anders als Lubitsch, sehr einfühlsam aus der Perspektive der jungen Deutschen und bestätigt seinen Ruf als »Frauenregisseur«, indem er sich zum Komplizen Annas macht. Diese durchläuft einen erstaunlichen Reifeprozess und wird zum Motor einer echten Versöhnung - Wahrheit hin oder her. Denn Vorurteile und Abneigung sind auf beiden Seiten tief verwurzelt. Nationalismus ist in Paris, wohin es Anna schließlich verschlägt, genauso zu spüren wie in der deutschen Kleinstadt. Und so rühren die Ressentiments und die Feindseligkeit des deutschen Veteranen Kreutz (Johann von Bülow) gegenüber Adrien nicht nur daher, dass er Anna heiraten will.

Sorgfältig komponierte Schwarzweiß-Bilder sorgen in dieser französisch-deutschen Koproduktion für ein nachvollziehbares historisches Ambiente und spiegeln eine gewisse Gefühlsstrenge wider, die jedoch durch Bilder der Harmonie zwischen Anna und Adrien oder durch Farbsequenzen - meist sind es Rückblenden - aufgebrochen wird. Alle Beteiligten werden von Schuld und Verdrängung geplagt. Der Film geht sogar so weit, den Dr. Hoffmeister, der sich vorwirft, seinen Sohn in den Krieg geschickt zu haben, eine kollektive Verantwortung für die Väter-Generation übernehmen zu lassen.

Der hauptsächlich in Quedlinburg, Wernigerode und Görlitz gedrehte Film erzählt sehr subtil, sehr zurückgenommen und macht dennoch die (unterdrückten) Gefühle in einer Zeit deutlich, in der Beherrschung als höchstes Gebot der Etikette galt. Einen beträchtlichen Anteil am Gelingen des Historiendramas haben die wunderbaren Schauspieler - Beer, Niney, Gruber und Stötzner agieren wie aus seinem Guss - und demonstrieren eine deutsch-französische Einigkeit, die ihre Figuren erst langsam erlernen müssen.

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