Häuserkampf im Schrebergarten

Eine Familie kämpft gegen die drohende Räumung ihres Baumhauses in Friedenau

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Kleingartenkolonie »Samoa« im Schöneberger Stadtteil Friedenau geht es beschaulich zu. Die Schrebergärten reihen sich akkurat in Parzellen aneinander. Die Gärten mit gepflegtem Rasen und Blumenpracht sind des Laubenpiepers ganzer Stolz. Hier auf dem Schönberger Südgelände ist die Welt noch in Ordnung. Doch die Idylle täuscht.

Ein Konflikt erhitzt die Gemüter in der Kolonie seit Jahren. Familie Piacentini befindet sich im Kampf. Im Baumhauskampf, um genauer zu sein. Die Frontlinie verläuft quer durch den Kleingarten. Auf der einen Seite steht Familie Piacentini. Familienvater Ivos Piacentini wollte seinen beiden Söhnen Luk und Alec vor acht Jahren einen Wunsch erfüllen und zimmerte dem Nachwuchs ein Baumhaus in der familieneigenen Gartenparzelle. Ein Ort des kindlichen Frohsinns und der Freiheit sollte das rund zwei Meter große und zwei Meter lange Holzhäuschen sein.

Doch eben jenes Baumhaus ist es, das der anderen Konfliktpartei, dem Kleingärtnerverband Friedenau und dem Tempelhof-Schöneberger Bezirksstadtrat Daniel Krüger (CDU) ein Dorn im Auge ist. Als der Bezirkspolitiker bei einem Routinekontrollgang durch die Laubenkolonie 2011 das Baumhaus entdeckte, stand seine Meinung fest: Die Konstruktion im Pflaumenbaum muss weg. Ganze 59 Zentimeter sei das Häuschen zu breit und weitere 70 Zentimeter zu hoch. Es entspreche damit nicht der Norm, die es in Berlin natürlich auch für hobbymäßig in Bäume genagelte Holzlatten geben soll.

»Wenn Sie mich fragen, ist ein Baumhaus mit vier Quadratmetern Grundfläche eine bauliche Anlage«, sagt Stadtrat Krüger und verweist auf das Verbot der Zweckentfremdung. Als das Bezirksamt daraufhin mit 50 000 Euro Bußgeld drohte, wenn das zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Jahren stehende Baumhaus nicht umgehend verschwinde und der Kleingärtnerverband 2013 eine Klage auf Abriss beim Amtsgericht einreichte, verstand der heute 52-jährige Piacentini die Welt nicht mehr. »Ich dachte, das könne nicht ihr Ernst sein«, sagt der Familienvater. Doch so einfach wollten die Piacentinis den Lieblingsspielort ihrer Kinder nicht aufgeben. Zumal sie sich keiner Normenmissachtung schuldig fühlten, hatte doch der Senat 2009 in einer damals neuen Verwaltungsvorschrift alle Beschränkungen für sogenannte »Kinderspielhäuser« für null und nicht erklärt und sich für eine allgemein kinderfreundlichere Gestaltung von Kleingartenanlagen ausgesprochen.

Die Piacentinis nahmen die Kampfansage der organisierten Kleingärtner und des Stadtrats wohl oder übel an. Eine Petition auf der Kampagnenwebsite »Change.org« mit dem prägnanten Titel »Rettet unser Baumhaus« hat bereits über 45 000 unterstützende Unterschriften bekommen. Auch Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) zeigt sich solidarisch, pocht auf die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften.

Lange Zeit sah es gut aus für die Piacentinis. Das Amtsgericht wies die Klage des Kleingärtnerverbands ab. Die Richter verwiesen ihrerseits auf die neuen Verwaltungsvorschriften, die die Forderung nach einem Abriss gegenstandslos gemacht hätten. Nichts da, dachten sich die Kleingärtner und gaben nicht klein bei. Sie reichten die Klage ans Landgericht weiter. Ihre Befürchtung: Wenn die Verwaltungsvorschriften von 2009 umgesetzt werden, bricht die Anarchie über den Gartenkolonien herein. Da kann ja jeder kommen! Und tatsächlich: In zweiter Instanz gab das Landgericht der Klage des Verbands auf Abriss statt. Ab diesem Freitag droht die Räumung des Baumhauses. Sollten vom Bezirk beauftragte Arbeiter mit Kettensägen das Häuschen abreißen, wollen die Piacentinis wahrscheinlich auch ihren Garten aufgeben. Doch eine kämpferische Hausbesetzung könnte in letzter Sekunde helfen: Ein Eichhörnchen war zwischenzeitlich in das Baumhaus eingezogen. Das Umweltamt untersagte die Zwangsvollstreckung. Bis heute. Ob das Eichhörnchen wohl schon seine Koffer gepackt hat?

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