Orban sieht sich als Sieger

98 Prozent gegen EU-Flüchtlingspolitik, doch zu geringe Beteiligung am Referendum in Ungarn

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 2 Min.

98 Prozent Ablehnung bei einer Beteiligung von 40 Prozent - Viktor Orban kann trotz deutlich verfehlter 50-Prozent-Marke zufrieden sein. Er hatte seinem Volk folgende sonntägliche Frage gestellt: »Wollen Sie, dass die EU auch ohne Zustimmung des Parlaments die Ansiedlung nichtungarischer Staatsbürger in Ungarn vorschreibt?« Die Suggestivfrage zielte auf die Pflichtquote zur Verteilung von Flüchtlingen in der Europäischen Union. Sie stand eigentlich nicht mehr zur Debatte. Brüssel hatte de facto eingelenkt.

Die notwendige Kritik an den ausländerfeindlichen Zwischentönen im Vorfeld des Referendums ist allerdings ohne EU-Selbstkritik nicht glaubwürdig. In Sachen Flüchtlingspolitik war die Position von Orban EU-konform. Er exekutierte das Schengen-Abkommen und behielt die Dublin-Verordnung im Auge. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel diese Anfang September 2015 außer Kraft setzte, verstärkte Budapest die Hardware mittels Zaunbaus, erklärte Serbien nicht ganz zu Unrecht zum sicheren Drittstaat und schuf fragwürdige Auffanglager für Flüchtlinge an den Grenzen.

Ungarn hatte im Jahr 2015 mit 17,7 Asylwerbern pro 1000 Einwohner die höchste Anzahl in Europa, gefolgt von Schweden (16) und Österreich (10). Deutschland lag mit 5,4 Asylwerbern pro 1000 Einwohner weit abgeschlagen.

Budapest wollte keine Flüchtlinge und die Flüchtlinge wollten nicht nach Ungarn. Die Missachtung war eine gegenseitige. Das Problem bestand in den Dublin-Verordnungen und Orban erkannte die Gefahr. Denn es war absehbar, dass das deutsche Willkommen des Jahres 2015 bald zu Ende gehen würde. Und dann wären all jene Flüchtlinge, die sich 2015 im ungarischen Transitraum aufgehalten hatten, den EU-Regeln zufolge von Ungarn aufzunehmen und ihre Anträge dort zu behandeln, weil Griechenland, wo die meisten von ihnen erstmals EU-europäischen Boden betraten, vom Dublin-System suspendiert war.

Orban sollte Recht behalten. Das deutsche Willkommen gehört der Vergangenheit an, seit Anfang 2016 weist Deutschland täglich 30 bis 40 Flüchtlinge an der österreichischen Grenze zurück. Im August waren dies bereits mehr als die Hälfte jener, die nach Deutschland wollten. Schweden hat die Grenzen dicht gemacht, Deutschland schickt Flüchtlinge zurück und Österreich nahm sich am ungarischen Zaun ein Vorbild. Die Parameter der europäischen Flüchtlingspolitik haben sich um 180 Grad gedreht. In der medialen Darstellung ist diese Wende allerdings noch nicht angekommen.

Ebenso wenig wird zur Kenntnis genommen, dass der Ausgang des ungarischen Referendums bereits die dritte nationale Entscheidung gegen die EU in diesem Jahr ist. Nach dem niederländischen Nein zum ukrainisch-europäischen Assoziierungsabkommen und dem »Brexit« sandten nun die Ungarn ein Signal nach Brüssel: So nicht!

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!